Wenn Pflanzen sich fortplanzen, treiben sie manchmal seltsame Blüten, manchmal treiben sie auch die Fortpflanzung und Evolution durch die seltsame Verdoppelung ihres gesamten Erbgutes voran. Eigentlich ist die Auto-Polyploidie ein Fehler während der Verdoppelung der Chromsomen, doch Fehler machen klug und die Pflanzen profitieren von Fehlern im Erbgut; besonders wenn Pflanzen neue Lebensräume erobern oder sich an ständig verändernde Umweltbedingungen anpassen müssen. Die Fehler der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) machen auch Pflanzenforscher klug, Forscher der TU München (TUM) und des Helmholtz Zentrums München stellten am 4. November 2010 ihre vor kurzem erschienene PNAS-Studie vor: „Die Unterschiede weisen darauf hin, dass Auto-Polyploidie in der Evolution eine größere Rolle spielen könnte, als wir bisher vermutet haben“, meint Prof. Ramon A. Torres-Ruiz vom Lehrstuhl für Genetik (TUM).
Obst, Gemüse und Gräser haben oft einen doppeltgemoppelten Chromosomensatz
Obwohl es manchmal mimosenhafte Menschen und strohdumme Tiere gibt, unterscheidet sich die Genetik zwischen Pflanzen und Tieren oft erheblich: Mensch und Tier haben einen doppelten Chromosomensatz, viele Pflanzen dagegen einen doppeltgemoppelten doppelten Chromosomensatz, viele Blütenpflanzen haben ein Vielfaches des doppelten Chromosomensatzes. Genetiker bezeichnen uns Menschen mit einem doppelten Chromosomensatz als diploid, die doppeltgemoppelten Pflanzen dagegen als polyploid – in ihrem Zellkern befinden sich vier, acht oder noch mehr Erbgutkopien. Solche Pflanzen findet man überall in unseren Gärten als Obst und Gemüse angepflanzt, überall auf Äckern und Wiesen. Viele uns vertraute Pflanzenfamilien haben einen doppeltgemoppelten Chromosomensatz. Der Paradeiser ist auch in Deutschland als Tomate polyploid, weitere polyploide Nachtschattengewächse (Solanaceae) sind Tabak und Kartoffel. Polyploidie ist ein Merkmal der Gräser (Gramineae) unserer Wiesen und Weizenfelder, auch der Zellkern des Kohl ist nicht hohl, die Zellkerne der Kohlgewächse (Brassicaceae) sind vollgepropft mit mehreren Erbgutkopien.
Genetiker sehen bei der essbaren Wildpflanze Arabidopsis manchmal doppelt
Die Polyploidie hat entscheidend zum Artenreichtum vieler Pflanzenfamilien beigetragen, die Vorfahren praktisch aller Blütenpflanzenarten pflanzten sich im Laufe ihrer Evolutionsgeschichte polyploid fort. Während Epi-Genetiker des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg sich der Bienen-Genetik widmen, widmen sich die Münchner Genetiker und Bioinformatiker dem Steckenpferd der Planzen-Genetik: Die Ackerschmalwand gehört für Genetiker wie der Kohl oder Senf zu den Kohlgewächsen, für Gärtner und Landwirte gehört die Ackerschmalwand eher zu den Unkräutern, für Wildpflanzen-Gourmets gehört die Ackerschmalwand dagegen in den Salat oder das Gemüse. Die beiden Pflanzengenetiker Prof. Alfons Gierl und Prof. Ramon Torres-Ruiz machten sich mit ihren Mitarbeitern aber keine leckeren Salate, sondern ließen die Ackerschmalwand Fehler bei der Fortpflanzung machen – sie sorgten dafür, dass sich der Chromosomensatz in Pollen und Eizellen der Elternpflanzen nicht halbierte, sondern doppelt erhalten blieb. So können Genetiker plötzlich alles doppelt sehen, denn nach der Befruchtung entstanden polyploide Pflanzen mit einem vierfachen Chromosomensatz (siehe Bild).
Der verdoppelte Chromosomensatz wirkt auf den ersten Blick einfach
Nach diesem Erfolg sahen die Genetiker nicht tief ins Glas, sondern blickten tief in die molekularen Strukturen der auto-polyploiden Folgegeneration. Die Genetiker erblickten nämlich auf den ersten Blick ein kaum von den Eltern unterscheidbares doppeltes Ackerschmalwand-Lottchen: Wie erwartet, unterschieden sich die Nachkommen äußerlich kaum von den Eltern – wird der Chromosomensatz ein- und derselben Art dupliziert, unterscheidet sich die polyploiden Folgegeneration oft kaum von der Elterngeneration, die nur halb so viele Genkopien besitzen. Diese auto-polyploiden Pflanzen verheißen keine großen Entwicklungssprünge, deshalb wurde der mögliche evolutive Vorteil dieses Verdopplungsweges bislang wenig beachtet. Doch richtige Genetiker blicken dann tief in die Pflanzengenetik und analysieren, welche Gene von den Pflanzen wie stark aktiviert werden.
Der verdoppelte Chromosomensatz wirkt auf den zweiten Blick auf über 250 Gene
Blicken Forscher zu tief ins Glas, erleben sie manchmal Überraschungen; blicken Genetiker zu tief in die Genetik, erleben auch sie manchmal Überraschungen: Einige der polyploiden Nachkommen regulierten gegenüber den Eltern über 250 Gene mit unterschiedlicher Aktivität: Davon waren wichtige Gene für die Photosynthese betroffen, für den Zellwandbau, das Stressmanagement, die Alterung und die pflanzliche Verteidigung. Dabei vererbten die Arabidopsis-Pflanzen die Auto-Polyploidie problemlos weiter, damit können sich die neuen Eigenschaften der Pflanzen in den Folgegenerationen etablieren.
Das doppelte Chromosomensatz-Lottchen kann Vorteile in der Evolution haben
Veränderungen einzelner Gene führen meist erst nach mehreren Generationen zu vorzeigbaren Vorteilen, dagegen kann Polyploidie sehr schnell zu Vorteilen einer Generation zur nächsten führen. Doch Prof. Ramon Torres-Ruiz führt an: „Wir denken, dass solche schnellen, subtilen Änderungen zum Beispiel bei allmählichen Umweltveränderungen, die das Klima oder die Bodenbeschaffenheit betreffen, von Vorteil sein könnten. Denn dramatische Erbgutveränderungen bergen immer auch das Risiko, dass die Nachkommen nicht lebens- oder fortpflanzungsfähig sind.“ Weitere tief in die Genetik blickende Münchner Forschung wird nun zeigen, wieso sich die Aktivität der Gene ändert. (Quelle: Suite101.de)