Weder Süßes noch Saures – eine Halloween-Nachlese
Montag, den 31.10.2005 kurz nach 17:00 Uhr.
In Gedanken versunken, wer um diese Zeit an der Tür klingelt schlendere ich zum Hauseingang. Vier Stöpsel im Alter zwischen 3 und 5 Jahren mit etwas verschmierter Farbe im Gesicht und dem kläglichen Versuch einer angemessenen Verkleidung brüllen mir kaum verständlich „Süßes oder Saures“ entgegen und halten mir ihre bereits gut gefüllten Stofftaschen, Süßigkeiten heiß erwartend, vor die Nase. Nicht dass ich die ehemals schottisch-gälischen Tradition des Samhuinn und nun uramerikanische Grusel-Folklore Halloween vergessen habe, nein, ich habe mich einfach nur leise zurücklehnen und das spätnachmittägliche Keltenfest an mir vorbeiziehen lassen wollen.
Ich muss die Jungs vertrösten, dass ich nichts für den „Abend zur Unterstützung der Süßwarenindustrie“ gebunkert habe. Das Quartett zieht geknickt unverrichteter Dinge ab. Wenig später klingelt es ein zweites Mal. Da ich schon (richtig) erahne, dass die nächste Blamage – aus Sicht der Kinder – droht, beschließe ich den Weg zur Tür bereits auf dem Flur abzubrechen. Auch die dritte Attacke wird beflissentlich überhört. Wie hartnäckig sich so manche an einer fremden Klingel festhalten können …
Kurz nach 19:00 Uhr.
Ich höre den nun vertrauten Ton der Türschelle jetzt bereits zum vierten Mal! Um den Klingeltaster zu entlasten, entscheide ich mich zu öffnen und mich den kostümierten Gummibärchen-Sammlern zu stellen. Und siehe da: drei Mädels, ich schätzte sie auf sechs bis acht Jahre, bemüht geschminkt und verkleidet, was man von den meisten anderen nicht gerade behaupten kann, trällern das allseits bekannte Sprüchlein. „Tut mir Leid, wir haben weder Süßes noch Saures.“ (Ha, welch ein Kalauer!) Und wie aus der Pistole geschossen antwortet die mittlere: „Wir nehmen auch Obst und Gemüse!“ Der Gedanke an den selbst gezogenen Knoblauch gegen/für die drei kleinen Hexen wird sogleich verworfen, haben mich die grünen Novizinnen der Schwarzen Magie doch spontan überzeugt: Äpfel sind meine Rettung, wer hätte das gedacht. Na und, Kreativität und der Mut, mit „althergebrachten“ Traditionen zu brechen, muss belohnt werden und das Obst wird dankend entgegengenommen.
Um vor erneuten Angriffen der örtlichen Schokoladen-Gangs gewappnet zu sein, beschließe ich nun die Rollos herunterzulassen und mich scheintot zu stellen.
Ich muss gestehen, dass ich immer wieder zwischen die Rolloritzen hinausspähe, um dem abendlichen Treiben auf der Straße zuzuschauen, war das Heer der Hanutajäger doch unüberhörbar.
Weiterer Klingelterror einer diesmal sechsköpfigen Dracula-Sippe bleibt meinerseits unbeantwortet. Zum Dank und zur Freude der Minimonster hilft der eskortierende Papa ein kleines Feuerwerk in unserer Einfahrt abzufackeln – „Ja ist denn jetzt schon Silvester?“.
Jaja, die Eltern, Kinderwagen schiebend begleiten sie die Nachwuchsgnome durch die gefährliche Dunkelheit, vielleicht auch um die schweren, voll mit Kariesbeschleuniger gefüllten Beutel schleppen zu helfen oder gegebenenfalls die Windeln der Zwergvampire zu wechseln.
Gegen halb neun klingelt es zum letzten Male: eine ca. 1,20m große in einen Umhang gekleidete Erscheinung. Einmal, ein zweites Mal, ein drittes Mal, Pause, ein viertes Mal. Hartnäckig! Durch die Ritzen sehe ich ihn einsam und alleine die prall gefüllte Tasche hinter sich herschleifend im Dunkel der letzten Oktobernacht verschwinden.
Dienstag, 1. November.
Am Morgen ziehe ich die Zeitung aus der Rolle und bemerke sogleich die Bescherung – besser gesagt greif ich in dieselbe – Zahnpasta. Lustig. Harmlos. Wohl dem, der auf dem Land wohnt, … noch. Es hätte uns auch schlimmer treffen können: in den Städten werden Verweigerer mit rohen Eiern auf der Windschutzscheibe und anderem bedacht. Was mich eigentlich mehr wurmt, ist die Tatsache, dass bei uns zwar die Neo-Tradition aus den Staaten übernommen, die dazugehörenden Gepflogenheiten schlichtweg aber links des Atlantiks vergessen wurden. Daher ist offensichtlich nicht bekannt, dass nur Häuser mit einem Kürbis davor (ursprünglich sogar nur beleuchtet) von den Kindern heimgesucht bzw. diese dort erwartet werden. Und … als Belohnung erfreut man den Bonbon-Sponsor mit einem Gegengeschenk in Form einer Gesangs-, Gedicht- oder wie-auch-immer- Einlage (muß ja nicht unbedingt sein).
So verkommt das keltische Neujahrsfest zu einer billigen Süßigkeitenabzocke, wie schon zum Fasching, als die Zuschauer gebeten wurden, doch bitte für den Umzug der Sprösslinge Süßigkeiten zum Bewerfen derselben bereit zu halten.
Bleibt zu hoffen, dass die Schokoladen, Gummibärchen, Lakritzestangen, Kekse, Lutscher, Kaugummi, Bonbons, Traubenzucker, Schokorosinen, Fruchtgelees, m&m´s und Äpfel nicht wegen Überschreiten des Verfalldatums teilweise in den Müllkorb wandern, weil der Sammeltrieb größer war als die Gier nach Süßem.
So erwäge ich für das kommende Halloweenfest entweder an diesem Abend auszuwandern oder der heimischen Zahnärzteschaft weitere Einkommen zu sichern oder auf eine gute Apfelernte zu hoffen. Allen anderen sei empfohlen, Annehmlichkeiten und Fremdes nicht durch eine oberflächliche Bequemlichkeit unreflektiert aufzunehmen. Man hat inzwischen gelernt, was Halloween ist, nun ist es an der Zeit zu lernen, was dazu gehört.