Komisch. Hier liest sich scheinbar keiner meine Links durch.
Darum für alle nochmal dick und fett etwas zur besonnenen Mentalität .....per Copy und Zahn-Paste.
Beim nächsten Beben wird alles anders
Von Joachim Radkau FAZ.Net
"Dass Japan im Umweltschutz Avantgarde war, aber bisher keine breite Bewegung gegen die Atomkraft hervorgebracht hat, scheint ein Rätsel. Die japanische Umweltbewegung folgte von Anfang an anderen Zielen.
15. März 2011
Als ich vor zwei Jahren in Kyoto war, fand ich auf meinem Hotelzimmer ein Merkblatt mit der Überschrift: „When an earthquake comes, what will you do?“ Tja, was tun, im achten Stock? Als Historiker überraschte mich am meisten der Anfang, der von einem seismologischen Geschichtsbewusstsein zeugte: „Der 1. September ist der Tag der Katastrophen-Prävention. An diesem Tag ereignete sich das große Erdbeben in der Kanto-Region vom 1. September 1923.“
Und mit brutaler Offenheit folgte der Hinweis, es sei ein neues großes Erdbeben in dieser Region „zwischen dem Anfang und der Mitte des 21. Jahrhunderts zu erwarten“. Ich fragte einen japanischen Kollegen, ob das Hotel erdbebensicher sei. Der erwiderte, nach jedem zerstörerischen Beben werde versichert, jetzt wisse man besser Bescheid als früher. Diese Zuversicht dauere bis zum nächsten großen Beben.
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Der Triumph des Stahlbetons
Der Atombombenabwurf war eine tiefe Verwundung des japanischen Selbstwertgefühls; die Kanto-Katastrophe dagegen war Auftakt einer Erfolgsgeschichte, einer Geschichte des bahnbrechenden Fortschritts in der Seismologie und Erdbebenprävention.
Die Art der Prävention wandelte sich jedoch im Zuge der Zeit radikal. Nach dem Nobi-Erdbeben von 1891 kursierte in Japan ein Holzschnitt, der zeigte, wie die modernen noch unbewehrten Betonbauten kollabiert waren, während darüber die hölzerne Pagode unversehrt stand; diese Erfahrung verschaffte dem traditionellen japanischen Holzbau eine letzte Renaissance. Zur Ikone des Kanto-Bebens von 1923 dagegen wurde das in der Nähe des Kaiserpalastes von Frank Lloyd Wright erbaute Hotel Imperial, das dem Beben getrotzt hatte.
Ein Regierungsbeamter sandte Wright ein Glückwunschtelegramm: „Hotel stands undamaged as monument of your genius.“ Von nun an profilierte sich Japan mit Stahlbeton als „Erdbeben-Nation“ – so der Titel eines Buches von Gregory Clancey (2006) – , die in solchen Naturkatastrophen die Nerven behält und ihnen mit Energie und Kompetenz begegnet. Und in der Tat, ein größerer Kontrast wie der zwischen der Hilflosigkeit auf Haiti und der japanischen Tatkraft im Anblick der Katastrophe ist kaum vorstellbar. Nur gibt es auf Haiti keine Kernkraftwerke.
Die vier Typen der antinuklearen Bewegung
Als Petra Kelly 1976 Japan bereiste, auf dem Höhepunkt des bundesdeutschen Atomkonflikts, geriet sie über die dortige Gleichgültigkeit gegenüber dem nuklearen Risiko aus der Fassung. Diese Gleichgültigkeit hat sich seit der Kette von schweren nuklearen Störfällen, die 1995 einsetzte, bis zu einem gewissen Grade verändert. Heute unterscheidet die amerikanische Geographin Nathalie Cavasin vier Typen von antinuklearen Bewegungen: Protest von Ortsansässigen (oft Bauern und Fischern), Gruppen innerhalb politischer Parteien, Frauen – vor allem Mütter – in Großstädten und Angehörige professioneller Eliten wie Rechtsanwälte und Universitätsprofessoren.
Vor allem die letzte Gruppe sorgte sich um das Erdbebenrisiko, die erstgenannten Gruppen mehr um die vom Atommüll drohenden Gefahren, die mittlerweile auch in Deutschland und anderswo zur Hauptzielscheibe des Protests geworden waren. Aus deutscher Sicht fällt jedoch auf, dass diese sehr disparaten Gruppen anscheinend wenig miteinander vernetzt sind. Daher entsteht aus der Ferne der Eindruck, als ob eine antinukleare Bewegung in Japan nicht existiere. Die deutsche und amerikanische Umweltbewegung war demgegenüber frühzeitig durch ein Wechselspiel von Bürgerprotest, staatlichen Initiativen, wissenschaftlicher Expertise, Medienalarm und gerichtlichem Rückhalt gekennzeichnet.
Man sollte allerdings nicht vergessen, dass es die heutige japanische Opposition gegen die Kernkraft viel schwerer hat als die bundesdeutsche der siebziger Jahre; denn in der damaligen Bundesrepublik wäre der sofortige Ausstieg aus der Kernenergie ohne weiteres möglich gewesen; im heutigen Japan dagegen ist die damalige Parole der Atomlobby „Ohne Kernenergie gehen die Lichter aus“ leider kein purer Bluff.
Gegenbeispiel Kalifornien
Aber warum formierte sich in Japan der Massenprotest nicht rechtzeitig? Warum blieb der Protest punktuell? Wie erklärt sich diese krasse Diskrepanz zu anderen Ländern? In der Japan-Literatur sucht man vergeblich nach einer Antwort, Japan-Spezialisten scheinen auf diese Frage gar nicht zu kommen. Sie stellt sich tatsächlich erst durch den internationalen Vergleich, und auch ich kann darauf keine definitive Antwort geben, sondern nur Hypothesen bieten.
Bei der Frage, warum es keine breite japanische Anti-Atomkraft-Bewegung gibt, handelt es sich also zunächst um ein Rätsel. Japan war das erste und bislang einzige Opfer der Atomwaffen; seine engen Ebenen sind viel dichter besiedelt als die Bundesrepublik und schon gar die Vereinigten Staaten, und dass Japan eines der erdbebenreichsten Länder der Welt ist, weiß man nicht erst seit letztem Freitag.
Der Verweis auf den durch ein Erdbeben drohenden Super-GAU war bereits das schlagkräftigste Argument der weltweit ersten Protestbewegung gegen ein Kernkraftwerksprojekt, bereits in den frühen sechziger Jahren: an der Bodega Bay nördlich von San Francisco. Die Erdbebengefahr beeindruckte selbst die amerikanische Atomenergiekommission. Es war klar, dass es dagegen keine Sicherheit gab. 1971 wurde in Kalifornien noch einmal ein Kernkraftprojekt (Point Arena) mit dem Erdbeben-Argument gekippt.
Das furchtbare Erdbeben von 1906 ist bis heute das Trauma von San Francisco; es ist kein Element eines kalifornischen Selbstbewusstseins. Mike Davis hat das Umweltbewusstsein dieser Region in einem Bestseller als „Ökologie der Angst“ gekennzeichnet. Dennoch schloss der Sierra Club, die älteste und lange Zeit einflussreichste amerikanische Naturschutz-Organisation, bis etwa 1970 Anti-Atomkraft-Aktivisten aus. Der 1892 gegründete Eliteklub war bis dahin vorwiegend auf den Kampf gegen Staudämme in den pittoresken Canyons eingeschossen und ähnlich wie alpine Naturschützer lange Zeit bereit, Kernkraftwerke zu tolerieren, da sie als Argument gegen Wasserkraftwerke herhalten konnten.
Japans Umwelt-Aktivisten waren anders absorbiert
Zielkonflikte durchziehen die Umweltbewegung von Anfang an. Die Schwierigkeit, in der Vielzahl der Umweltprobleme Prioritäten zu bestimmen, versetzt bis heute die Umwelt-Szenen weltweit in latente Spannung. Japan ist das einzige außerwestliche Land, das an der „ökologischen Revolution“ des Jahres 1970 von Beginn an teilnahm; der erste Umwelt-Titel des „Spiegel“ am 5. Oktober 1970 behauptete sogar, hier seien die Japaner den Deutschen weit voraus; und noch 1985, als der Chef des Chemiekonzerns Chisso vor den Opfern der von seinem Unternehmen verursachten Minamata-Quecksilberkatastrophe niederkniete, stellte der „Spiegel“ den Deutschen die Japaner als Vorbild hin.
Aber vielleicht ist genau das der Punkt: Der japanische Einstieg in das ökologische Zeitalter geschah ganz im Zeichen von vier großen durch hochgiftige Industrieemissionen verursachten Katastrophen, die damals weder in den Vereinigten Staaten noch in Mittel- und Westeuropa ihresgleichen hatten. Man kann sich vorstellen, dass japanische Umwelt-Aktivisten von diesen Skandalen über geraume Zeit absorbiert waren.
Wie es scheint, geraten wir hier an einen tieferen Grund des Unterschieds zwischen dem japanischen und deutschen ebenso wie amerikanischen Umweltbewusstsein. Die Umweltbewegung war von Anfang an nicht zuletzt eine Gesundheitsbewegung, die von Krankheitsängsten getrieben war. In den westlichen Ländern markiert die Zeit um 1960 eine säkulare Sattelzeit in der Geschichte dieser Ängste. Bis dahin dominierte die Angst vor Infektionskrankheiten, danach wurde die Krebsangst zur grande peur. Rachel Carson schrieb den „Stummen Frühling“ (1962), als sie an Krebs erkrankt war; für Petra Kelly wurde der Krebstod ihrer jüngeren Schwester im Kindesalter zum lebenslangen Trauma.
Plötzlich verändern sich Handlungsperspektiven
Als Präsident Nixon sich an die Spitze des neuen „environmentalism“ zu stellen suchte, rief er zugleich zum „Kampf gegen den Krebs“ auf; in diesem Kampf suchte sich die neue amerikanische Umweltbehörde (EPA) zu profilieren (mit wenig Erfolg). Von radioaktiver Strahlung drohte der Krebs, das wusste man mittlerweile; von daher hatte es seine Logik, wenn sich viele Umwelt-Aktivisten mit besonderer Erbitterung auf die Kernkraftwerke einschossen.
Wer dagegen durch japanische Städte geht, wundert sich über den Mundschutz bei vielen Passanten. Dort dominieren noch Ängste der früheren Zeit: vor Bazillen und vor giftigem Staub, während Japan traditionell eine der niedrigsten Krebsraten der Industriestaaten aufweist. Aber hüten wir uns vor apodiktischen Urteilen über „die“ Japaner. Ebenso wie uns die Natur immer wieder Überraschungen beschert, hat auch Japan die Welt wiederholt überrascht. 1971 lautete ein Buchtitel „Japans ökologisches Harakiri“ (von dem schwedischen Journalisten Bo Gunnarson), 1985 dagegen „Ein Modell für uns: Die Erfolge der japanischen Umweltpolitik“ (von dem japanisch-deutschen Experten-Duo Shigeto Tsuru und Helmut Weidner).
In der Geschichte des Umweltschutzes ist nicht nur das politische System, sondern auch der historische Augenblick von Bedeutung, in dem sich Handlungsperspektiven plötzlich verändern. Es scheint, dass wir uns gerade in einem solchen Augenblick befinden."
Beste Grüße
Doro