Vorlesen - find ich gut!

Dalai Lama “Das Buch der Menschlichkeit”

Untertitel: eine neue Ethik für unsere Zeit.

Nicht den Buddhismus will uns der Dalai Lama mit diesem Buch nahebringen, sondern ethisches Verhalten. “Wie werde ich ein besserer Mensch” und “Wie wird mein Leben glücklicher” sind zwei Fragen, die sich nicht voneinander trennen lassen.

Obwohl keine wirklich neuen Gedanken unterbreitet werden, regt die Zusammenstellung bekannter Sichtweisen zum Nachdenken an. Dabei kommt seine Heiligkeit völlig ohne erhobenen Zeigefinger aus. Damit der Weg zur Erleuchtung nicht zu langatmig wird, habe ich mir das Hörbuch in vielen kleinen Portionen zu Gemüte geführt.

Sprecher ist passenderweise Lutz Riedel, der Synchronsprecher des bekennenden Buddhisten Richard Gere. Seine Stimme ertönt hier wie ein Gong: sonor und sachlich. Schön anzuhören - und sehr inspirierend.
 
  • Wolfgang Hohlbein “Der Greif”

    Fantasy-Jugendbuch

    Der Jugendliche Mark kann (allerdings nur recht unkontrolliert) zwischen unserer und einer Parallelwelt wechseln, in welcher ein Monster namens "Greif" eine Schreckensherrschaft ausübt.

    Durch meine Unachtsamkeit hab ich diesmal ein Hörbuch erwischt. Wofür der komplexe Stoff denkbar ungeeignet ist. Trotz sehr guter Sprecher und raffinierter Sound-Effekte fehlt es der Produktion an Atmosphäre (und ein wenig Orientierung). Hier würde ich unbedingt das Buch vorziehen.
     
    Jean-Christophe Grange “Das schwarze Blut”

    Psychothriller mit Ekelfaktor. Der Titel versteht sich wörtlich!

    Charakteristisch für den Autor sind packende Thriller vor faszinierenden weltweiten Kulissen. Die Schilderungen von Gewalt erfordern jedoch starke Nerven. Diesmal geht es speziell um die Erreichung von verschiedenen Zustände des Blutes.

    Aus persönlichen Gründen ist der skrupellose Paparazzo Mark Dupeyrat besessen davon, das Böse zu ergründen. Unter dem Namen "Elisabet" knüpft er einen Briefkontakt zu dem in Kambodscha inhaftierten charismatischen Massenmörder Jacques Reverdi. Bei seinen Recherchen quer durch Asien kommt er Reverdis bizarren Ritualen Schritt für Schritt näher.
    Als er Reverdi dessen grausiges Geheimnis schließlich vollständig aus der Nase gezogen hat und als Thema für seinen ersten, sehr erfolgreichen Roman ausschlachtet, entkommt der liebestrunkene und vor Wut schäumende Reverdi dummerweise aus dem Gefängnis - ein Alptraum mit unvorhersehbarem Ende beginnt.

    Auch dieser Roman zeichnet sich durch atmosphärisch dichte realistische Milieuschilderungen (man spürt, dass der Autor die Schauplätze seiner Thriller selbst bereist hat) und eine schöne poetische Sprache aus, kann sich jedoch mit dem grandiosen “Flug der Störche” oder dem weithin bekannten “Die purpurnen Flüsse” nicht messen - was mit an einigen logischen Brüchen und unglaubwürdigen Zufällen liegt.

    Joachim Kerzel (der auch den Dennis Hopper alias Hannibal Lecter gesprochen hat) liest spitzenmäßig. Die ruhige, tiefe Stimme des Super-Serienmörders lässt den Hörer erschaudern. Man spürt förmlich dessen kalte, berechnende Art, fühlt seine Befindlichkeiten.
     
  • Hallo, Käferli,
    als Filmfuzzi muss ich widersprechen. Der wunderbare Anthony Hopkins gibt den Hannibal. Obwohl.... Dennis Hopper ist auch wunderbar.
     
  • Hast Recht Mariaschwarz,

    Hopper... Hopkins... Hab mich vertan. Und der Kerzel spricht seine Stimme auch nur in den Folgefilmem vom "Schweigen der Lämmer".

    Käferli, ertappt :p
    Ohne Quatsch jetzt - das Gedächtins lässt bedenklich nach:(
    Heute morgen fiel mir glatt der Vorname von Herrn Clinton nimmer ein
     
    Ilja Trojanow “Der Weltensammler”

    exotischer Abenteuerroman

    Der britische Kolonialoffizier Richard Francis Burton (1821-1890) bereist Indien, pilgert nach Mekka, reist nach Afrika, um die Quellen des Nils zu finden. Der Weltenbummler interessiert sich so sehr für die bereisten Länder, dass er sich sich nicht nur die Landessprachen aneignet, sondern sogar die jeweilige Religion einverleibt. Hinduismus, Islam und afrikanische Naturreligionen werden dem Leser dabei anschaulich nahegebracht.

    Burtons Erlebnisse und sein Erleben werden in einer sinnlichen, bildreichen Sprache atmosphärisch dicht beschrieben. Besonders bei der eindrucksvollen Schilderung der Umrundung der Kaaba in Mekka ist der Leser mit allen Sinnen hautnah dabei. Kaum vorstellbar, dass Trojanow die Kulissen nicht mit eigenen Augen gesehen hat, und tatsächlich las ich später, dass der muslimische Autor Burtons Wege zu Fuß nachgelaufen ist.

    Trotz der schönen Sprache ist der Roman keine leichte Kost. Sprünge in der Handlung sowie wechselnde Erzählperspektiven erfordern eine hohe Konzentration, auch die vielen Namen sollte man sich halbwegs merken können.

    Frank Arnold liest meisterhaft, wunderbar präzise und sauber. Seine Stimme erweckt die Charaktere zum Leben.
     
  • Sarah Lark “Die Insel der roten Mangroven”

    Ziemlich seichte Schmonzette vor dem Hintergrund der ersten Sklavenaufstände in Jamaica und Hispaniola (heutige Dom Rep). Die Liebe zwischen der verwöhnten Deidre und dem tüchtigen Arzt Viktor entwickelt sich umspektakulär und geradlinig bis in den Hafen der Ehe. Aus Langeweile erliegt das Mädchen jedoch schon bald der Anziehungskraft des farbigen Jefe.

    Die parallel dazu erzählten Erlebnisse von Bonnie und Jefe auf einem Piratenschiff sollen wohl eine Portion Abenteuer beisteuern, doch es bleibt auch hier bei einem sehr weichgezeichneten, jugendfreien Niveau.

    Naja. Immerhin geht es auch - unter Ausblendung der größten Brutalitäten - um die Zustände, unter denen die Sklaven auf den Plantagen leben müssen, und das dekadente Verhalten ihrer Besitzer. Auch werden die der Inselparadiese in der Karibik recht stimmungsvoll beschrieben. Einzig die schwüle Liebesgeschichte zwischen Deidre und Jefe verhindert, dass das Werk als Jugendbuch durchginge.

    Sprecherin Yara Blümel liest in durchgehend heiterem Plauderton - egal ob es um eine vergnügte Ballszene oder die Züchtigung eines Sklaven geht.
     
    Suzanne Collins: Die Tribute von Panem, Teil 1 (“Tödliche Spiele”)

    Obwohl der Roman hier im Forum schon mehrfach hoch gelobt wurde war es reiner Zufall, dass wir uns die Verfilmung des ersten Teils der Trilogie im Fernsehen anguckten. Boah, wieso hat denn nie jemand mehr über die Handlung dieses Fantasy-”Jugendbuches” erzählt? Der Film war so stark, dass ich mir umgehend das Hörbuch besorgte.

    Die imaginäre Vorgeschichte wird eingangs im Schnelldurchlauf erzählt: 13 Distrikte existierten einst im ehemaligen Amerika. Als diese gegen das allmächtige Kapitol aufbegehren, wird Distrikt 13 dem Erdboden gleich gemacht und die Aufstände niedergeschlagen. Als Mahnung und Bestrafung werden jährlich die “Hungerspiele” veranstaltet, die natürlich öffentlich ausgestrahlt werden: Aus jedem Distrikt werden mittels Los ein Junge und ein Mädchen im Alter zwischen zwölf bis achtzehn Jahren bestimmt, die in den Spielen um ihr Leben kämpfen müssen. Nur ein einziger Sieger wird die Spiele überleben.

    Die sechzehnjährigen Katniss und der junge Peeta brechen also zu den Spielen auf, wohl wissend, dass mindestens einer von ihnen sterben muss. Was ab da passiert: jedenfalls kein Stoff für Fingernagelkauer.

    Superspannend, das in der Ich-Form verfasste Hörbuch noch mehr als der Film. Vorbereitung und Verlauf der Kämpfe gönnen einem kaum Verschnaufpausen. Ungeachtet seiner blutrünstigen Handlung ist die Story hochemotional.

    Maria Koschny liest das Hörbuch professionell. Ein genialer Schachzug, für die “Ich”-Figur gerade die Synchronsprecherin der Katniss zu wählen. Dadurch wurden viele eindringliche Szenen des Films noch einmal unglaublich präsent.
    Wozu ihre Stimme mit einem eigenartigen Halleffekt unterlegt wurde, ist mir nicht ganz klar geworden - es macht aber auch nichts aus.
     
    Suzanne Collins: Die Tribute von Panem (Fortsetzungen)

    Gleich nach der Lektüre des ersten Teils musste natürlich Teil 2 der Trilogie (“Gefährliche Liebe”) als DVD her. Hier wird - nach einer etwas langatmigen Überleitung - die erfolgreiche Idee von Teil 1 weitergelutscht.

    Es finden also nochmals Spiele statt, diesmal besonders zynische“Jubiläums-Jubelspiele”, die unter den bisherigen Siegern aus allen Distrikten ausgelost werden, und an denen unsere Helden abermals teilnehmen müssen. Erst nach dem spektakulären Abbruch der Spiele erfährt der Zuschauer, dass im Hintergrund eine Handvoll “Rebellen” die Strippen gezogen haben, um den Protagonisten das Überleben zu sichern.

    In diesem Teil bleibt die Emotionalität (das große Plus in Teil 1) leider auf der Strecke. Das Ende war zudem so unverschämt vernichtend und unheilschwanger, dass ich - quasi gezwungenermaßen - danach gleich zum Hörbuch von Teil 3 griff.


    In Teil 3 (“Flammender Zorn”) geht es schließlich nur noch um die Revolution. Martialisch, blutrünstig und düster, und längst nicht mehr so phantasievoll und emotionsgeladen wie der erste Teil. Liest sich wie ein beliebiges Kriegsgeschehen in einer fernen Zukunft.

    Katniss kämpft zwar wacker mit, jedoch nur noch als eine Randfigur, die von den Machern der Rebellion werbestrategisch benutzt wird. Am Ende hat sie noch einen großen Auftritt und tut genau das Richtige. Wie daraufhin mit ihr verfahren wird, ist jedoch extrem unbefriedigend. Ein Epilog soll vermutlich mit dem Ende versöhnen. Mich hat er nur noch mehr deprimiert.

    Fazit: Das hohe Niveau des ersten Teils konnte in beiden Fortsetzungen leider nicht gehalten werden.

    Maria Koschny liest wieder sehr sauber, diesmal wird auf verfremdende Effekte verzichtet.
     
    Douglas Adams “Per Anhalter durch die Galaxis”

    Durchgeknallte Science-Fiction-Satire von 1979

    Als Arthur Dent eines Tages aufwacht und merkt, dass sein Haus abgerissen wird, geht für ihn im wahrsten Sinne des Wortes die Welt unter. Die Erde soll nämlich für eine Hyperraum-Umgehungsstraße gesprengt werden. Mit Hilfe seines - rein zufällig außerirdischen - Freundes Ford Prefect entkommt Arthur knapp seinem explodierenden Heimatplaneten, und findet sich an Bord eines Abrissschiffes der Vogonen wieder. Von da an geht es drunter und drüber, die Story jagt von einer Absurdität zur nächsten.

    Ein Highlight ist Marvin, der nervtötend manisch-depressive Androide. In äußerst brenzliger Situation hört man seine blecherne Stimme im Hintergrund ergeben “So nimm denn meine Hände” singen. Sein aufdringlich-munteres Gegenstück Eddie (“mein Gehirn ist so groß wie ein Planet”) muss sich dagegen schon mal mit einem “Halt die Klappe” zur Räson bringen lassen.

    Natürlich merkt man dem Kult-Werk von einst sein Alter an. Doch auch heute verfehlt die zum Teil zynische Kritik an unserem Lebensstil und der Arroganz der Menschheit ihre Wirkung nicht. Das Hörbuch (Hörspiel-Version von 1981) ist - selbst in deutscher Übersetzung - immer noch ein anarchisches Hörvergnügen.


    Ausnahmsweise findet hier ein Hörspiel meinen uneingeschränkten Beifall. Das später von Christian Ulmen geschnarchte Hörbuch kann dem betagten Hörspiel nicht das Wasser reichen. Die akustischen Effekte des Hörspiels bestechen durch ihre Schlichtheit. Die Sprecher (Erzähler Rolf Boysen, Felix von Manteuffel als Arthur Dent, Klaus Löwitsch genial als Zaphod Beeblebrox, und viele mehr) gehen voll mit. Man hat den Eindruck, dass sie im Studio eine Riesengaudi haben - die sich auf den Hörer überträgt.
     
  • Douglas Adams “Per Anhalter durch die Galaxis”

    Durchgeknallte Science-Fiction-Satire von 1979

    ...

    man kann sich auch den genialen Film geben ... besonders herrlich umgesetzt finde ich Marvin!
    alle 5 Teile (ha, es ist gar keine Trilogie) gabs seinerzeit in einer jeweils andersfarbig gedruckten Ausgabe bei 2001!
    Grenzgenial für alle Englisch-Freunde: gebt euch das Orginal-Hörspiel!

    und last but not least: Adams´ "Last Chance To See" ... eine heitere Dokumentation (geht das? jawoll geht!) über vom Aussterben bedrohte Tiere - sowohl als BUCH (nix HÖRbuch) als auch als Film

    n!!!

    PS Danke Käferli, dass mich dran erinnert hast, dass ich dieses herrliche Kleinod der Weltliteratur wieder mal lesen sollte!
     
  • Jean Raymonds “Die Vorleserin”

    Frivoler kleiner Roman, der 1988 mit Miou-Miou verfilmt wurde.

    Marie-Constance lebt in einer südfranzösischen Kleinstadt. Sie liebt die Literatur und sie hat eine angenehme Stimme. So beschließt sie, Vorleserin zu werden, mit dem ehrenwerten Ziel, ihren Mitmenschen die Literatur näher zu bringen.

    Per Inserat findet sie einige Interessenten, unter anderen den pubertären Eric, den Marie-Constances Beine wesentlich mehr faszinieren als die Lektüre ("könnten Sie nächstes mal vielleicht ohne Höschen kommen, Madame?"). Den rachitisch schnaufenden unbeholfen notgeilen Topmanager Michel Dautrand, dem das aufgeschlossene Mädchen seinen Bildungs- als auch seinen Liebeshunger stillt. Einen pensionierten Richter mit sehr speziellen literarischen Interessen.

    Marie-Constances liest und liest. Doch ihr literarisches Sendungsbewußtsein hat Grenzen. Als drei besonders ehrenwerte Herren von ihr eine “Gruppenvorlesung” eines Werks von de Sade erwarten, empfiehlt sie sich mit einem tiefen Knicks und einem befreienden Türenknallen, welches zugleich das Ende ihrer Karriere als Vorleserin markiert.

    Die heiter-beschwingte musikalische Untermalung am Ende gibt der Geschichte dann tatsächlich noch den Touch einer gewissen Leichtigkeit, auch wenn dieselbe insgesamt mehr naiv als erotisch prickelnd anmutet.

    Svenja Pages spricht in dem Hörspiel die Hauptfigur. Mit ihrer sympathischen hellen Stimme rezitiert sie so hingebungsvoll, dass sie in der Tat für die Position einer Vorleserin bestens geeignet wäre.
     
    Colin Cotteril “Der Tote im Eisfach”

    Der Krimi mit dem eigenwilligen Titel spielt im kommunistischen Laos der 70er Jahre. Weil der neue russische Aufbewahrungsschrank für Leichen so unerwartet gut kühlt, wird ein Leichnam kurz vor der geplanten Obduktion versehentlich tiefgefroren, und muss mit einfachsten Mitteln (auch Körpereinsatz!) aufgetaut werden. Bei der “Löffelprobe” bemerkt Dr. Siris Assistentin Dtui rein zufällig, dass sich in dem Leichnam eine gefährliche Bombenfalle befindet.

    Parallel dazu wird der kauzige Pathologe ins Land der Hmong entführt, eines unterdrückten Bergvolkes, dessen Schicksal - fernab von aller Klamotte - das eigentliche Hauptthema des Romans darstellt. In überraschend leisen Tönen werden die Lebensverhältnisse der Laoten geschildert.

    Um die Protagonisten besser kennenzulernen empfiehlt es sich eigentlich, mit dem ersten Band “Dr. Siri und seine Toten” der bislang sechsteiligen “Dr. Siri”-Reihe zu beginnen.

    Jan Josef Liefers liest mit hörbarem Vergnügen und wie gewohnt sehr abwechslungsreich. Nur einige Passagen sind mir persönlich etwas zu klamottig interpretiert, zudem irritierte es mich, diesmal an einigen Stellen die Filmfigur des kauzigen Tatort-Rechtsmediziners Professor Börne durchzuhören.
     
    John Katzenbach “Die Anstalt”

    Psychiatriethriller

    Katzenbach bleibt seinem Metier treu. Die Geschichte spielt in einem Mikrocosmos namens Irrenanstalt. Mitten in der Normalität der Gestörten ereignet sich ein Mord. Francis, der noch der normalste unter den ganzen Patienten zu sein scheint, wird in die Aufklärung mit eingebunden.

    Der Reiz der Story liegt in der Art und Weise, wie aus der Sicht eines Schizophrenen geschrieben wird. Der Alltag in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt in den 70er Jahren ist gut recherchiert und wird glaubhaft präsentiert. Gruselig. Der ständige Kampf mit den Stimmen in Francis` Kopf, die Beschreibung der Mitinsassen, despotischer Pfleger und der beklemmenden Atmosphäre in der Anstalt lassen die Suche nach dem Mörder zeitweise fast nebensächlich erscheinen.

    Chronologische Sprünge und Perspektivwechsel und die die Darstellung innerer Zwiegespräche wirken verwirrend. Oft ist nicht völlig klar, welche Personen real oder nur in Francis Kopf existieren. Der Showdown und der Schluss wirkten selbst für den gewählten Handlungsort sehr wirr und irr. Wer der mörderische “Engel” war, wird zwar aufgeklärt, aber seine Person und Motive bleiben dennoch im Dunkel.

    Die Erzählung geschieht in zwei Ebenen, welche durch zwei Sprecher repräsentiert werden. Thomas Danneberg spricht den Francis, der in der Ich-Form - immer noch unter dem Einfluss von Psychopharmaka - von seinem heutigen Leben erzählt. Er versteht es hervorragend, die innere Unruhe und Verrücktheit des Francis, wie auch seine Stimmungsschwankungen und Rückfälle in seine Stimme zu legen.

    Die langen Rückblenden aus der Perspektive eines außenstehenden Erzählers liest dagegen John-Katzenbach-Stammsprecher Simon Jäger. Er stattet jede Figur mit einer eigenen charakteristische Stimme und Tonlage aus, und gibt auch die jeweilige Stimmung brilliant wieder. Bei manchem Gefühlsausbruch der Heiminsassen läuft es einem kalt den Rücken hinunter. Mich verblüffte es insbesondere, die Figur der Lucy mit eindeutig weiblicher Stimme sprechen zu hören - eine perfekte Illusion.
     
    Tess Gerritsen “Die Chirurgin”

    Thriller im Mediziner-Milieu

    Routinierter Psychothriller mit allem, was ein solcher eben so braucht. Serienmorde, literweise triefendes Blut, kniffelige Schnitzeljagd, Einblick in die verquere Seelenlage des Täters, und ausgiebiger (wenn auch wenig überraschender) Show Down. Sogar für eine kleine Schmonzette war noch Raum.

    Spannend und flüssig geschrieben, aber trotzdem... Für mein Empfinden hat es die Autorin diesmal mit den unfreundlichen Tötungsritualen übertrieben. Mir persönlich ist es überhaupt lieber, wenn die Innereien drin bleiben.
    :(

    Dieser Roman Tess Gerritsens wird ausnahmsweise nicht von der genialen Mechthild Großmann vorgetragen.
    Claudia Michelsen
    liest an sich sehr sauber. Dass in fast jedem Satz Mitgefühl und Betroffenheit mitschwingen ist gut gemeint, erscheint mir für diese Art von Thriller jedoch etwas daneben.
     
    Sebastian Fitzek “Der Augenjäger”

    rasanter, trashiger und unübersichtlicher Thriller

    Zur Erinnerung: dem ansonsten rundum abgeschlossenen Vorgängerroman “Der Augensammler” wurde wie ein überflüssiger Kropf ein offenes Ende aufgesetzt. Daher beginnt der “Augenjäger” denn auch mit umfangreichen Rückblenden und Verweisen, die den Leser mit dem Vorangegangenen vertraut machen.

    Reporter Alexander Zorbach muss weiter ermitteln. Wieder unterstützt ihn dabei die blinde Alina, die über paranormale Fähigkeiten verfügt. Die Geschichte um einen psychopathischen Augenchirurgen, der bestimmten Frauen sehr spezielle Behandlungen zuteil werden lässt, gleicht einer temporeichen Achterbahnfahrt. Nichts ist so wie es scheint. Es gibt kühne Wendungen, deren letzte sich um 180 Grad dreht und rückwirkend auch das Vorgängerwerk in einem völlig anderen Licht erscheinen lässt.

    Die teilweise sehr abstrusen und nicht immer logisch schlüssigen Handlungshäppchen, aus denen die Story konstruiert ist, sind jeweils so fesselnd geschrieben, dass man sich bei Szenenwechseln oft nur unwillig lösen mag. So wird der Leser durch eine Strudel aus Wahn und Gewalt gejagt.

    Ganz zum Schluss treibt es Fitzek zu weit mit seinen gewagten Volten. Zuerst gibt es ein völlig anderes Ende als im Vorfeld angedeutet, dann wird auch dieses einfach über den Haufen geworfen und - nach einem persönlichen Kommentar des eitlen Autors - komplett anders neu gestrickt. Sprich: der Leser darf sich selbst aussuchen, welche Variante er für den Schluss bevorzugt. Was allerdings der Story nachträglich den letzen Rest von Ernst nimmt.

    Der großartige Simon Jäger zeigt sich in Höchstform. Er hält das Tempo und liest genussvoll wie selten. Von allen Figuren ragen vor allem die Bösewichter durch ihre unnachahmlich aufreizend intonierte Perfidie heraus.
     
    Zuletzt bearbeitet:
    Michael Ondaatje “Katzentisch”

    Hinreißender Erinnerungsroman

    Drei elfjährige Jungen wurden zu Beginn der 1950er-Jahre von ihren Eltern ohne Begleitung Erwachsener mit dem Schiff aus Sri Lanka nach London geschickt, wo sie ihre weitere Ausbildung bekommen sollen. Die drei Jungs und einige andere Passagiere, die nicht in der 1. Klasse reisen, also nicht in der Nähe des Kapitänstisches sitzen dürfen, sind am “Katzentisch” untergebracht. All diese exzentrischen Persönlichkeiten werden einem beim Lesen des bunten Fleckenteppichs aus Dutzenden von Geschichten - gesehen durch Kinderaugen - vertraut.


    Das Schiff präsentiert sich den Jungen als luxuriöser schwimmender Abenteuerspielplatz, auf dem sie jeden Tag mindestens ein Verbot zu übertreten versuchen. Der Autor schildert die große Freiheit der drei in der Ich-Form des erwachsenen Michael, in Rückblenden, mit viel Gespür und Sympathie für seine Figuren. Seine phantasie- und gefühlvolle, eindringlich schöne Erzählweise verzaubert.

    Johannes Steck liest wie gewohnt meisterhaft. Seine wandlungsfähige Stimme gibt alle Männer-, Frauen- und diesmal auch Kinderrollen mitsamt der jeweiligen Seelenlage wieder. Beim Hören fühlt man sich in eine längst vergangene Zeit voll Abenteuer, Romantik und Geheimnis zurückversetzt.
     
    Ransom Riggs: “Die Insel der besonderen Kinder”

    Jugendroman, der die Bezeichnung Fantasy wirklich verdient

    Als Kind lauscht Jakob gebannt den Märchen seines Großvaters. Die Geschichten handeln von Kindern mit besonderen Fähigkeiten, die sich vor schlimmen Monstern verstecken müssen. Als Jahre später der Großvater unter mysteriösen Umständen stirbt, sieht Jakob mit eigenen Augen eines der in den vermeintlichen Märchen beschriebenen Monster. Der 15-jährige folgt den rätselhaften Anweisungen, die ihm der Großvater mit letzter Kraft gab, und macht sich auf, um die Kinder zu warnen.

    Zur Abwechslung einmal ein Buch, das einigermaßen spannend und gruselig ist, ohne dass dabei Unmengen von Blut fließen müssen. Mit den kampferprobten “X-Men” haben die besagten Kinder übrigens nicht viel gemein. Die Geschichte besticht nicht durch hektische Action, sondern durch eine gewisse Bedächtigkeit und märchenhafte Anmutung. Manchmal möchte man den jugendlichen Protagonisten und Ich-Erzähler ob seiner Begriffsstutzigkeit direkt anstupsen, wenn er deutliche Hinweise auf drohende Gefahren nicht bemerkt.

    Wieder einmal liest Simon Jäger rundum perfekt. Er schafft eine dichte Atmosphäre und lässt auch hier unterschiedlichsten Charaktere alleine durch seine Stimme auferstehen. Seinem Vortrag ist es mit zu verdanken, dass das Jugendbuch durchaus auch Erwachsene anspricht.
     
    Jiang Rong “Der Zorn der Wölfe”

    Beeindruckendes Epos über die mutwillige Zerstörung eines sensiblen Ökosystems

    Der junge Chinese Chen Zhen wird in die innere Mongolei versetzt, wo ihm der weise alte Mongole Bilgee viel über die fremde Kultur beibringt. Chen Zhen lernt die Wölfe - Totemtiere der Mongolen - bewundern und lieben. Er muss jedoch mitansehen, wie durch Einwirken der chinesischen Politik die konsequente Ausrottung der klugen und mutigen Tiere betrieben wird, und welche verheerenden Folgen dies auf das urtümliche Grasland hat - welches im Vorfeld in malerischen Farben als wahres Paradies beschrieben wurde.

    Die barbarische Vernichtung natürlicher Resourcen zugunsten kurzfristiger wirtschaftlicher Erfolge durch blinden Kadergehorsam wird recht packend dargestellt. Allerdings nerven die gebetsmühlenartigen Wiederholungen der ökologischen Zusammenhänge, die in China (wo der Roman ein Bestseller ist) nicht in dem Maße bekannt sind wie bei uns.

    Der Autor hat mit viel Liebe zum Detail geschrieben. Mit seiner Reflexion der chinesischen Gesellschaft im Umgang mit ihren ethnischen Minderheiten hat er sich politisch weit aus dem Fenster gelehnt.

    Martin Brose hängt sich voll rein. Seine Stimme spiegelt das aggressive Auftreten der zahlenmäßig bald überlegenen Han-Chinesen sehr emotional wieder. Mir persönlich war sein Vortrag - bei allem Verständnis - stellenweise zu krawallig.
     
    Chris Carter “Der Kruzifix-Killer”

    Solider Thriller ohne übermäßigen Tiefgang

    Ja Kruzifix! Da hat sich ein Autor mal eine besonders abscheuliche Mordmethode erdacht. Die Grausamkeit der Taten ist allerdings der einzige Superlativ in diesem nach üblichem Strickmuster verfassten Thriller.

    Ein Massenmörder mordet bestialisch und kennzeichnet seine Opfer mit einem tätowierten Kreuzzeichen. Er zwingt den ermittelnden Kommissar Hunter zur Teilnahme an ausgefuchsten Spielchen um das Leben weiterer Opfer. Bis fast hin zum ebenso überraschenden wie unglaubwürdigen Ende haben die Ermittler kaum eine Spur zu dem hochintelligenten Täter.

    Dass der Autor tatsächlich forensische Psychiatrie studierte, merkt man der an den Haaren herbeigezogenen wenn auch spannenden Story kaum an.

    Achim Buch habe ich schon als ausgezeichneten Sprecher kennengelernt. Für Frauenstimmen hat er jedoch kein glückliches Händchen. Durch vermehrtes Quietschen wird eine Stimme nicht automatisch weiblich. Und das gerollte “R” allein erzeugt noch keinen italienischen Akzent. Mir jedenfalls vermittelte die Stimme der angeblichen rassigen Italienerin Isabella das Bild eines ältlichen Komikers von undefinierbarer Latino-Herkunft. Was mir ärgerlich die Imagination versaute.
     
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