Vorlesen - find ich gut!

  • Ersteller Ersteller käferli
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Joy Fielding “am seidenen Faden”

psychologisch angehauchter “Frauenkrimi”

Bei einem “Brigitte”-Hörbuch habe ich zugegebenermaßen bestimmte Vorurteile - welche in diesem Fall auch vollumfänglich erfüllt wurden.

Die Schwester der Ich-Erzählerin Kate verliebt sich in den des Massenmordes verdächtigen Colin und heiratet ihn sogar. Grässliche Dinge geschehen. Was von der Idee her sogar recht spannend sein könnte, plätschert in diesem Krimi nur fade vor sich hin. “Oh Gott” - eine Floskel, welche in dem Werk gehäuft auftaucht (nach dem ersten Dutzend gab ich das Zählen auf), charakterisiert dasselbe zugleich.

Für einen Joy Fielding-Roman muss man in einer sehr speziellen Stimmung sein. Das war ich in der Tat, und rechnete auch fest mit Joy Fieldings Leib-und-Magen-Sprecherin Hansi Jochmann.

Doch - Überraschung - stattdessen liest diesmal die knuffige Tatort-Kommissarin Simone Thomalla. Welche meiner Erwartungshaltung jedoch ausgezeichnet gerecht wird. Zwar gelingt Simone nicht dieser gewisse biedere Unterton. Doch sie liest den Text ebenso lustlos und uninspiriert herunter wie Hansi Jochmann, und wie diese betont sie immer wieder Sätze immer ein klein wenig verkehrt, so als habe sie vom Kontext nicht die leiseste Ahnung. Ein guter Roman würde durch einen derartigen Vortrag vernichtet, doch dieses Elaborat unterstreicht er stimmig. Oh Gott oh Gott.
 
  • Robert Scott Reiss: “Black Monday”

    Düsterer Ökothriller mit Endzeitstimmung

    Die Ölvorräte der ganzen Welt werden durch winzige Mikroben zersetzt. Autos bleiben einfach stehen, Flugzeuge fallen vom Himmel. Binnen weniger Tage bricht jegliche Ordnung zusammen. Dem Leser ist schnell klar, dass mehr dahinterstecken muss, und in der Tat kommt der Biologe und Seuchenexperte Dr. Gerard einer fiesen Verschwörung auf die Spur.

    Bei Ulrich Pleitgen kann man nie vorhersagen, was einen erwartet. Mal zerschnarcht er einen Text ohne Gnade, dann wieder verwandelt er einen Roman in ein packendes Drama. Diesmal liest er mit Tempo und einer Passion, die mir für diesen Stoff übertrieben erscheint und unnötige Hektik erzeugt. Einige Stellen hätte er trotz dieser Hast ruhig etwas deutlicher aussprechen dürfen.
     
    Maarten’t Hart: “Der Schneeflockenbaum”

    Schrulliger und gefühliger Erinnerungsroman

    Der Roman handelt von einer ungewöhnlichen Freundschaft zweier Außenseiter. Er spielt in den Niederlanden der 50iger Jahre in einem Umfeld, das von wirtschaftlicher Not und von calvinistischer und provinzieller Enge geprägt war. Zu einer Zeit, als sich die Uhren noch langsamer drehten. Es geht um Liebe, verpasste Lebenspartnerschaften und klassische Musik.

    Mit leichter Hand und dennoch tiefgründig schreibt der Autor über harte Zeiten. Man spürt einfach die Lust am Erzählen. Durch eine exzessive Beschreibung von Verdauungsstörungen (inklusive einer drastisch-plastischen Schilderung der manuellen Beseitigung einer grausligen Sache namens "Aftermaden") muss man allerdings erst einmal durch, ehe die Geschichte altmodisch-behäbig Fahrt aufnimmt.
    Eindringlich sind die Szenen, in denen der Ich-Erzähler mit klassischer Musik in Berührung kommt. Alles beginnt mit dem Kauf eines Grammophons.

    “Jeder rechtschaffene Mensch begreift, dass der Kauf eines Grammophons ein riesiges Loch in den Familienetat reißt. Folglich fehlen danach die Mittel, eine oder gar mehrere Schallplatten zu kaufen. Die Kerkmeesters waren nun also stolze Besitzer eines Grammophons und konnten es sich aus diesem Grund nicht leisten, Schallplatten zu kaufen. Aber das war keine Katastrophe, denn es zeigte sich, dass es bereits ein Riesenvergnügen war, den sich gleichmäßig drehenden leeren Plattenteller zu beobachten, den man zudem noch auf drei Geschwindigkeiten einstellen konnte.”

    Durch ein ungewöhnliches Tauschgeschäft kommt ein halbes Jahr später doch eine Schallplatte hinzu, von der der Protagonist schier nicht mehr genug bekommen kann - Händel, wie sich Jahre später herausstellte.

    “Nachdem wir die Platte äußerst behutsam aus der Hülle hatten gleiten lassen, betrachteten wir die Scheibe zunächst von allen Seiten. Es stand nichts anderes darauf als ‘Seite A’ und ‘Seite B’. Wir stellten den Plattenspieler auf 45 Umdrehungen pro Minute und legten die Platte ehrfurchtsvoll auf den Drehteller. Wir schalteten den Plattenspieler ein und ließen ihn zunächst warmlaufen, und setzten dann unendlich vorsichtig die Nadel in die Rille. Zunächst hörten wir nur das starke Rauschen der Nadel in der noch leeren Rille. Dann erklangen, erst noch zögernd und zurückhaltend, doch allmählich immer klarer und deutlicher, einige Streichinstrumente in dem Rauschen und es schien fast, als pickten sich die Streicher aus dem riesigen Angebot an Tönen genau die Noten heraus, auf die es ankam.” ... “als sollte mir auf diese Weise eingeprägt werden, dass sich in meiner Seele Kräfte verbargen, von denen ich bis dahin nichts gewußt hatte, und nicht nur Kräfte, sondern auch Schmerzen, die lieblich gelindert wurden von der Musik, die sie gleichsam hervorrief.” ... “Jouris Vater klappte, als er ins Wohnzimmer kam und gerade noch die letzten Töne hörte, langsam die Kinnlade herunter. ‘Lass die Platte nochmal von vorne laufen’ befahl er barsch. Und da kam es wieder. Ich konnte bereits mitsummen, leise mitpfeifen, wodurch die Musik noch ergreifender wurde - so sehr ich mich auch dafür schämte, dass mein leises Mitpfeifen in Mitflennen ausartete. ‘Verdammt schönes Stück’ sagte Jouris Vater mit belegter Stimme. ”

    Volker Martens liest ebenso amüsant, einfühlsam und lebendig, wie der Roman geschrieben ist. Ein bärenstarker Vortrag.
     
  • :cool:Val McDermid: “Das Lied der Sirenen”

    klischeehafter, aber kurzweiliger typisch britischer Krimi

    Kriminalpsychologe Tony Hill und Inspektor Carol Jordan arbeiten zusammen an der Aufklärung einer Mordserie, bei der ein Serienkiller es scheinbar homosexuelle Opfer abgesehen hat. Die Autorin stellt den Handlungsablauf aus unterschiedlichen den Blickwinkeln von Tony, Carol und dem Täter da.

    Etwas konstruiert wirkt die persönliche Verwicklung des Polizeispychologen Tony in den Fall. Dass einige brutale Szenen bis ins Detail beschrieben werden stellt in meinen Augen nicht unbedingt eine Bereicherung des Psychothrillers dar.

    Elke Schützholt erfreut zunächst durch ihre wohlklingende, sehr weibliche Stimme. Hätte sie es nur bei ihrem sauberen, klar akzentuierten Vortrag belassen. Doch sie bemüht sich überdies, jedem Charakter eine eigene Stimme zu verpassen.

    Bei den männlichen Figuren schafft sie anfangs gerade so den Spagat einer Stimmabsenkung, ohne nach “Kasperle und das Krokodil” zu klingen. Doch beim polternden Detective Superintendent Tom Cross kommt es schliesslich zum Desaster - er wird unter ihrer Intonation zum klamaukigen Räuber Hotzenplotz. Was dem Thriller insgesamt einen großen Teil seiner Ernsthaftigkeit raubt. Schade eigentlich.
     
  • Martin Suter “Allmen und die Libelle”

    selbstironischer und sehr fein geschriebener kleiner ...naja...“Krimi”

    Allmen, die Hauptfigur des vergnüglichen Romans, ist ein Gentleman der alten Schule. Nachdem er ein erkleckliches geerbtes Vermögen durchgebracht hat, bewahrt der im tiefsten Inneren rechtschaffene und eigentlich grundehrliche Mann seinen großzügigen Lebensstil zunächst durch den Verkauf eigener, später durch Diebstähle fremder Antiquitäten. Nachdem sich bei einem Schäferstündchen unter fast zwingenden Umständen die Gelegenheit ergibt, eine wertvolle Jugendstil-Glasschale (mit eingearbeitetem Libellenmotiv) mitzunehmen, gerät Allmen in ernste Schwierigkeiten. Mit Hilfe seines loyalen Dieners Carlos laviert er sich jedoch Schritt für Schritt aus den Unannehmlichkeiten heraus.

    Die beschauliche Story fesselt zwar ungemein, ist doch keinesfalls ein “page turner”. Sie will Wort für Wort goutiert werden.

    Ich kann nicht sagen, was mich bei dem trefflichen Büchlein mehr amüsiert hat: die feinsinnig beschriebenen Umgangsformen skurriler Snobs, der trockene, lakonische und immer präzise Schreibstil, oder der so herrlich plakativ beschriebene luxuriöse Lebensstil des geregelten Nichtstuns eines Mitgliedes der schweizerischen “oberen Zehntausend”. Schön zu lesen war auch die sinnlich-atmosphärische Beschreibung von Lokalitäten und Kunstobjekten.


    Gert Heidenreich erweist sich als Meister der süffisanten Dehnung und der ironischen Kunstpause. Er liest den subtilen Text genussvoll und mit Augenzwinkern. Seine sonore Stimme (welcher die Tontechnik unnötigerweise einen kräftigen Bass beigemischt hat) macht den Hörgenuss komplett.
     
    John Le Carle: “Der Spion, der aus der Kälte kam”

    Eiskalter, intelligent konstruierter, 50 Jahre alter Spionagethriller

    Alec Leamas ist Leiter des Berliner Secret Service Büros. Er muss miterleben, wie seine Agenten in der DDR von seinem Widersacher Mundt liquidiert werden. Um Mundt auszuschalten, wird Leamas als scheinbarer Überläufer aufgebaut und bei der Gegenseite eingeschleust.

    Der Roman stellt die Kälte und Skrupellosigkeit der Geheimdienste beider Seiten bloß. An Stelle des Menschen zählt nur die Nützlichkeit desselben. Unnötig fand ich nur einige moralisierende Dialoge, die den Leser wohl mit der Nase auf die moralische Fragwürdigkeit des Geschehens stoßen sollen - heutige Autoren schreiben anders.

    Die Story ist grandios spannend und enthält raffinierte Wendungen. Nichts ist, wie es scheint. Die dunkle, gewalttätige Atmosphäre des Kalten Krieges wird sehr realistisch wiedergegeben - gerade weil im Buch das Grauen statt durch übermäßige Gewaltszenen mehr mit psychologischen Mitteln erzeugt wird.

    Matthias Brandt ist als Sprecher dieses Romans eine ausgezeichnete Wahl. Sein ruhiger Vortrag vermittelt die düster-melancholische Grundstimmung des Romans, die sich in einigen Szenen geradezu greifen lässt. Auch fühlt er sich sehr gut in die unterschiedlichen Charaktere ein und verleiht ihnen Individualität.
     
  • Simon Beckett: “Verwesung”

    mäßig spannende Mogelpackung, die sich als Forensikthriller gibt

    Wie “Die Chemie des Todes” beginnt auch dieser Roman mit einem vielversprechenden Prolog über die - chemische - Vergänglichkeit des Fleisches. Und wieder ermittelt Dr. Hunter in lange zurückliegenden Mordfällen. Doch dieses Werk von Beckett hat überhaupt nichts mit forensischer Anthropologie oder Gerichtsmedizin zu tun. Es fehlen einfach die Maden, das Blut und der Ekel, vor allem aber die Wissenschaft.

    Hat man sich mit der enttäuschten Erwartungshaltung abgefunden, so verbleibt der folgende Plot:

    David Hunter wird von seiner Vergangenheit eingeholt. Ein Fall, an dem er acht Jahre zuvor bereits mitgearbeitet hat (dabei erfährt man nachträglich einiges über die Vorgeschichte des vom Schicksal gebeutelten Protagonisten, das in den Vorgängerromanen nur angedeutet wurde) wird wieder aktuell, denn der Mörder von damals ist geflohen.

    Der forensische Anthropologe bekommt Besuch von längst vergessenen Menschen, mit denen er damals zusammen gearbeitet hat. Zusammen mit diesen macht er sich auf die unfreiwillige Suche nach dem entflohenen Mörder und den Gräbern der damaligen Opfer. Schon frühzeitig wurden Zweifel an der Schuld des verurteilten Mörders gestreut, die sich während der Suche noch erhärten. Es kommt, wie es eben kommen muss... immerhin noch zu einem recht spannenden Showdown.

    Die unheimliche Atmosphäre von Dartmoor, der fesselnde Schreibstil Becketts und vor allem der geniale Vortrag von Johannes Steck retten den Leser über einige Enttäuschungen hinweg. Zwischen den Kapiteln gibt es kurze musikalische Einschübe, die recht gut zur konstruierten Dramatik passen.
     
    Herman Koch: “Angerichtet”

    Hinterfotzig-spannendes Psychogramm, Betrachtungen über Glück und Familie

    Es steigert die Wirkung dieser Geschichte, wenn man vorab nicht zu viel darüber weiß. Rahmenhandlung ist ein gemeinsames Abendessen zweier Paare, die offenbar etwas Wichtiges zu besprechen haben. Das Beisammensein im Spitzenrestaurant endet bitterböse.

    Zunächst folgt man amüsiert den Ausführungen des Ich-Erzählers Paul, welcher dem gediegenen Ambiente und seinem gesellschaftlich hochstehenden Gegenüber mehr als kritisch gegenübersteht. Zwischen Paul und seiner Gattin Claire besteht eine äußerst innige Verbindung, die sich in vielen Gesten äußert. Rasch sind also die Sympathien verteilt.

    Während man sich noch entspannt an der sehr fein beobachtenden vermeintlichen Satire erfreut, werden - zunächst homöopathisch dosiert - erste Vorboten von Unheil eingestreut. Von da an wird, die ganze Mahlzeit hindurch, der Grusel in kleinen, sich steigernden Häppchen dazwischengereicht. Die Einschätzung der Personen ändert sich im Verlauf des Mahles dramatisch.

    Der Schreibstil ist fesselnd und mitreißend. Achtung: zwischendurch wird der Appetit des Lesers durch drastische Schilderungen spontaner Gewalt beeinträchtigt. Jedoch liegt der eigentliche Horror in in Ereignissen, die nur angedeutet werden, und in Verschiedenem, das man nach und nach über die Protagonisten erfährt. Die Monstrositäten inmitten einer als heil dargestllten Welt wirken nachhaltiger als es selbst die übelsten Missetaten eines Massenmörders vermöchten.


    Joachim Krol liest packend und glaubwürdig. Man kauft ihm sowohl die Manieriertheit des Maître d'hôtel ab (der Leser fühlt sich, als speiste er mit am Tisch), als auch Pauls Frustrationen und die schier unerträglichen Spannungen, nicht nur bei Tisch.
     
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    Ian McEwan: “Am Strand”

    Geschichte einer ungelebten Liebe

    Südengland 1962. Eine Hochzeitsnacht. Die prüde Florence und der von Versagensängsten geplagte Edward, beide erst 22 und völlig unerfahren, lieben sich über alles. Trotzdem geht ihre erste Nacht “voll in die Hose” - da hilft auch Florences schlaues Handbuch über Liebesdinge nicht weiter. Florence flieht an den Strand, Edward folgt ihr. Ein Wort gibt das nächste. Es geht um die Sprachlosigkeit zweier Liebender, die keine Worte besitzen, um dem anderen ihre sexuellen Probleme und Bedürfnisse verständlich zu machen.

    Atmosphärisch dicht und erstaunlich einfühlsam geschrieben, dabei mit einer feinen Prise Humor. Es fällt nicht schwer, sich in beide Figuren hineinzuversetzen. Ian McEwan versteht es, Stimmungen heraufzubeschwören und schafft hier sogar das Kunststück, die überschaubare Handlung mit einer enormen Spannung aufzuladen.

    Jan Josef Liefers liest das Hörbuch nahezu perfekt. Jeder Gedanke der Protagonisten wird so lebendig, als dächte man ihn selbst - und es wird viel gedacht in diesem Roman. Einzig die tiefe Melancholie der Schlussgedanken (“was hätte nicht alles sein können, wenn...”) geht in seinem einen Tick zu flapsigen Vortrag etwas unter.
     
    Haruki Murakami: “Afterdark”

    Surreales Kunstwerk

    Zwei Schwestern: Mari und ihre ältere Schwester Eri. Eine reale und eine surreale Ebene werden miteinander verwoben. Der Leser begleitet Mari von Mitternacht bis zum Morgengrauen. Leute treffen sich, trennen sich, treffen sich erneut. Zwischendurch können wir die schöne Eri durch ein imaginäres Guckloch in einem dornröschengleichen Tiefschlaf beobachten. Sobald der Morgen graut, wird der Leser abrupt von allen Beobachtungsposten entlassen.

    Die unwirklichen Szenen erinnerten mich an alte Filme von David Lynch. Die nüchterne Sprache, die belanglosen Dialoge und die kalten Bilder aus der japanischen Großstadt erzeugen eine dichte, unwirkliche Atmosphäre.

    Gerne hätte ich das Stimmungsgemälde auf mich wirken lassen. Doch Ulrich Matthes steht dem entgegen. Erst dachte ich ja, er sei nur erkältet. Aber über sein rachitisches Schnaufen hinaus zeigt er beim Lesen eine geradezu aufreizende Wurstigkeit. “Ich hab’s nur so ausgeplappert, was mir gerade durch den Kopf gegangen ist” - dieses Zitat der Figur Takahashi ist bezeichnend für den schluffigen Vortrag des Sprechers.

    Vollends auf die Palme brachte mich seine Unart, das Essen der beteiligten Personen durch laut gatschende Geräusche kenntlich zu machen. Kein essender Mensch schmatzt so, während er spricht. Ärgerlich. Einer der seltenen Fälle, in denen ich das Papierbuch dem Hörbuch vorgezogen hätte.
     
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  • Danielle Trussoni: “Angelus”

    Fantasy-Thriller

    Der Buchtitel weist schon darauf hin, dass es im weitesten Sinn um Engel geht, die laut Klappentext ja die “neuen Vampire” sein sollen. Für leidenschaftliche Engel-Fans also ein Muss.

    Die junge Nonne Evangeline umgibt ein dunkles Geheimnis. Im Kloster erfährt sie aus alten Schriften von den Nephilim, den üblen Nachkommen der Engel. Eine uralte, bedeutungsvolle Leier muss unbedingt gefunden werden. Es geht um nicht weniger als die Weltherrschaft! Ein Geheimbund von Angelologen (jaja, die heißen wirklich so) unterstützt Evangeline bei der Schnitzeljagd quer durch New York.

    Nach einem etwas langatmigen Start kommt die Story doch noch in Schwung und wird sogar ziemlich spannend. Die unheimlichen Kreaturen sind ausdrucksvoll gezeichnet, der wissenschaftliche Hintergrund gründlich recherchiert. Der offene Schluss samt überraschender Wende wird allerdings nicht jedem Leser gefallen.

    Regina Lemnitz liest unangestrengt, flüssig und sehr klar. Ohne übermäßige Stimm-Akrobatik verleiht sie den Charakteren eigene Stimmen. Sie versteht es, die Figuren mit Leben zu füllen und die Atmosphäre der jeweiligen Szenen zu vermitteln.
     
  • Doris Dörrie: “Alles inklusive”

    heitere Sommerlektüre in Episoden

    Es geht um die Hippiewelt der 70er Jahre und was aus den Hippies von damals und ihren Kindern inzwischen so geworden ist. Kunstvoll verwebt Doris Dörrie die mehr oder weniger abgeschlossenen Episoden (die jeweils aus der Perspektive einer anderen Hauptfigur erzählt werden) miteinander. Ein jeder hat seine Geschichte und alle sind irgendwie miteinander verknüpft. In unbekümmerter Leichtigkeit surft sie durch die Schicksale der Beteiligten, um diese zu guter Letzt im sonnigen Spanien zusammenzuführen.

    Obwohl es überwiegend um tragische Themen wie verschmähte Liebe, Suizid und unerfüllte Sehnsüchte geht, ist der Roman durch den lockeren Schreibstil durchaus vergnüglich zu lesen. Einfach zum Kringeln die Episode, in der die aus der bayerischen Provinz stammende Makler-Pomeranze “Angelita” versucht, der kühlen Blonden Susi mit Bauernschläue und Maklerpsychologie eine abgelegene Finca anzudrehen.

    Die Sprecher sind Maria Schrader, Petra Zieser, Maren Kroymann und Pierre Sanoussi-Bliss, und sie alle bringen sowohl heitere als auch nachdenkliche Momente des Romans sehr gut rüber (wobei ich nicht genau sagen kann, wer nun welche Passage gelesen hat).
     
    Haken Nesser: “Am Abend des Mordes”

    Skandinavisch-schwermütiger Roman um lange zurückliegende Verbrechen

    In diesem langsamen, düsteren Roman (Thriller kann man es kaum nennen) nimmt das Private - insbesondere die Trauerbewältigung von Inspektor Barbarotti um seine plötzlich verstorbene Gattin - sehr viel Raum ein.
    Während der Inspektor die Ermittlungen zu längst abgeschlossenen Fällen wieder aufnimmt, wird in parallel eingeblendeten Rückblicken aus Sicht der verurteilten Mörderin gezeigt, was damals wirklich passierte.

    Anfangs sehr zäh, insgesamt eindringlich und stimmungsvoll. Nicht ganz einfach zu lesen, weil die vielen schwedischen Namen verwirren und man nicht immer sicher ist, in welcher Zeitebene man sich gerade bewegt. Launige Zwiegespräche Barbarottis mit dem lieben Gott und der verblichenen Gattin tun der Atmosphäre keinen Abbruch.

    Dietmar Bärs behäbiger Vortrag wird der melanchonischen Grundstimmung des Romans gerecht. Erkältung und Alkoholrausch simuliert er überzeugend.

    Die zähen Dialoge mit dem Chef liest er in perfekter Schwerfälligkeit. Genau so stellt man sich hierzulande den tüchtigen, jedoch stets bedächtigen schwedischen Inspektor vor:

    “Ach wirklich” dachte Barbarotti “das ist mir bekannt” sagte er. “Aber es sollte dafür einen Grund geben”. “Den gibt es auch” erwiderte Asunander. Barbarotti wartete, aber es kam nichts mehr. “Wäre es zu viel verlangt, den zu erfahren?”. Später: “Mir drängt sich das Gefühl auf, dass du etwas andeutest” sagte Barbarotti. “Das tue ich auch” erwiderte Asunander gereizt.
     
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    Jefferey Deaver: “Allwissend”

    Thriller um einen Fall von Internet-Mobbing

    Kreuze am Straßenrand kündigen grausame Morde an. Der Mörder hat es darauf angelegt, die schlimmsten Ängste seiner Opfer wahr werden zu lassen. Da die Opfer zu einem Kreis von Jugendlichen gehören, die den pubertierenden Außenseiter Travis in einem Blog gemobbt hatten, fällt der Verdacht automatisch auf ihn.

    “Hauptdarsteller” des Romans ist das Internet, genauer gesagt die Welt der Blogger und Gamer. Fesselnd und gruselig eine Szene, in der Ermittlerin Dance als virtuelle Persönlichkeit in ein Internetspiel eintaucht, um dem Verdächtigen näher zu kommen.

    Intelligent konstruiert, mit einigen überraschenden Wendungen. Vom Thema und den Hauptfiguren her eindeutig ein Roman für Jugendliche. Ich habe allerdings so meine Bedenken, wie die fleißig recherchierte, aber ziemlich uncool dargestellte Blogger-Sprache bei dieser Zielgruppe ankommt.

    Dietmar Wunder ist als Sprecher eigentlich allererste Sahne. Diesmal gibt es jedoch Abstriche, weil er es mit dem Jammerton übertreibt - und gejammert wird in dem Roman alle naselang, wenn z.B. wieder mal ein Opfer in höchster Not um sein Leben fleht.
     
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    Hanif Kureishi: “Das sag ich dir”

    "mitreißender und aufwühlender Roman über den unstillbaren Hunger nach Leben". Ah ja.

    Der in die Jahre gekommene Psychoanalytiker Jamal sinniert über seine Vergangenheit. Der im kosmopolitischen London lebende Sohn einer Engländerin und eines pakistanischen Einwanderers hatte ein schillerndes Leben. Die quirlige Stadt bildet den Rahmen für seinen Weg zurück in die 70er und 80er Jahre, die mehr noch als sein heutiges Leben geprägt waren von prominenten Freundschaften, Sex, Drogen und Partys.

    Ausgiebige Schilderungen von Besuchen bei Swingerclubs und sonstiger Erotik ziehen sich quer durch die Story. Mir ging die eitle, krampfhaft lockere “Hipness” zunehmend auf den Senkel. Was sagt uns das über die Protagonisten? Es fiel mir sehr schwer, mich bis zum Ende der öden Story durchzukämpfen.

    Als Schauspieler mag ich Christoph Walz sehr, seinetwegen hatte ich mich besonders auf dieses Hörbuch gefreut. Doch seine markante Stimme mit der harte Aussprache der Konsonanten passt überhaupt nicht zum Ambiente und ist einfach schrrrcklich anzuhören.
     
    T.C. Boyle: “Die Frauen”

    ziemlich ermüdendes Sittengemälde

    Für diesen Roman bräuchte man eigentlich ein Handbuch. In nicht chronologischer Reihenfolge werden die durchaus aus dem Rahmen fallenden Beziehungen des Star-Architekten Frank Lloyd Wright mit “seinen” vier Frauen geschildert. Die Geschichte krankt jedoch daran, dass zu keinem der Protagonisten auch nur ein Funke von Sympathie entsteht.

    Was das Werk dennoch rettet ist der Kunstgriff, es aus der Perspektive eines fiktiven japanischen Schülers von Wright zu schreiben. Dadurch entsteht ein hautnahes und fesselndes Bild vom Genie und der egomanischen Persönlichkeit eines der bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts.

    Ulrich Matthes liest den Roman mit seiner markanten Stimme über die Länge von 8 CDs erstaunlich spannend und packend. Sein Vortrag wertet den Roman gewaltig auf.
     
    Michael Robotham: “Der Insider”

    Realitätsnaher, leidlich spannender Politthriller

    Zwei an unterschiedlichen Schauplätzen spielende Handlungsstränge werden zusammengeführt: In London wird Ex-Polizist Vincent Ruiz von der jungen Holly bestohlen. Er ermittelt ihre Identität und gerät dabei ins Fadenkreuz einiger mächtiger Gegenspieler, denen verräterische Aufzeichnungen gestohlen worden waren. Zur gleichen Zeit verschwinden in Bagdad Wiederaufbaugelder spurlos und rufen den Journalisten Luca Terracini auf den Plan, diese Geschichte aufzudecken.

    Nach und nach werden aktuelle Themen wie Bankenkrise, Terrorismus, Wirtschaftskriminalität und Organisiertes Verbrechen zu einer Verschwörung verwoben, die noch bis in die höchsten Ränge reicht. Der packende Showdown findet schließlich in London statt. Glaubwürdig und realitätsnah recherchiert. Über gewisse Längen rettet Robothams flüssiger Schreibstil hinweg.


    Johannes Steck liest in gewohnter Perfektion.
     
    Cody McFadyen: “Der Menschenmacher”

    gewalttätiger Thriller um sehr spezielle Erziehungsmethoden

    Der sadistisch veranlagte Robert Gray ist besessen von der Idee einer sehr eigenwillig interpretierten Evolution, welche ihn auf die krude Idee bringt, drei adoptierte Waisen durch härteste Erziehungsmaßnahmen zu einer Art Übermenschen “evoluieren” zu wollen. In einer Notwehrsituation töten diese eines Tages ihren Peiniger.

    Damit könnte die Geschichte zu Ende sein, doch nun geht es erst richtig los. Jahrzehnte später kommen die drei in eine äußerst unerfreuliche Situation. Die Vergangenheit holt sie unerwartet wieder ein. Sie finden die ursprünglichen Brutstätten für das kranke Gedankengut des Adoptivvaters.

    Beim blutrünstigen Ende des bösesten aller Bösewichter wird der Grusel nur noch von der Erleichterung übertroffen, dass es endlich vorbei ist.

    Hannes Jaennicke verwandelt die kalte Vorlage mit seinem warmherzigen, emphatischen Vortrag tatsächlich in einen hörenswerten Thriller. Als Buch hätte ich den nicht nur blutigen, sondern vor allem psychisch brutalen Stoff spätestens nach dem ersten Drittel weggelegt.
     
    Isabel Allende: “Mayas Tagebuch”

    kein “Geisterhaus”, aber ein lesenswerter Unterhaltungsroman

    die mittlerweile 19jährige Maya Vidal, Amerikanerin mit chilenischen Wurzeln , erzählt von ihrem Leben auf der chilenischen Insel Chiloe. In Rückblenden erfährt man von ihrer bewegten Vergangenheit in Las Vegas und damit den Grund, weshalb sie von ihre chilenischen Großmutter in dieser abgelegene Region in Sicherheit gebracht wurde. Eine sehr komplizierte Familiengeschichte, in der auch Ereignissen während der Diktatur Pinochets eine Rolle spielen, rundet das Epos ab.

    Der Roman ist wunderbar einfühlsam geschrieben, doch die abgeklärte Sprache stammt so offenkundig von einer reflektierten, lebenserfahrenen Erwachsenen, dass man sie der jugendlichen Ich-Erzählerin nicht so recht abkaufen mag.

    Hannah Herzsprungs kratzige, quäkige Kleinmädchenstimme und ihr verdrossenem Unterton könnten für die Figur der jugendlichen Protagonistin eventuell gewollt sein, auch wenn beides überhaupt nicht zu dem gehobenen Schreibstil Allendes passt. Der getragene Rhythmus ihres Vortrags ist dagegen stimmig.

    Richtig ärgerlich sind die unzähligen kleinen Betonungsfehler, bei denen sich alle paar Minuten der Gehörgang sträubt. Lernt man das Lesen heutzutage nimmer in der Schule?
     
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    Georg M. Oswald: “Unter Feinden”

    Dick aufgetragener, klischeetriefender Lokalkrimi um Polizeiarbeit in München

    Dillen und der drogenabhängige Kessel sollen die Wohnung eines Terrorverdächtigen observieren. Doch die beiden Polizisten bauen Mist. Kessel legt sich mit einem der herumlungernden “Arabs” an und überfährt ihn wenig später. Dillen bemüht sich, diesen Vorfall zu vertuschen. Kriminelle Drogendealer fühlen sich von dem Vorfall provoziert, es kommt zu heftigen Straßenschlachten.

    Als wäre das noch nicht genug Wilder Westen in meiner beschaulichen Heimatstadt, gilt es auch noch ein geplantes Attentat im Rahmen der bevorstehenden Sicherheitskonferenz zu verhindern. Dubiose Figuren nehmen Einfluss auf die Ermittlungen.

    Schnörkellos und spannend geschrieben, aber insgesamt unglaubwürdig. Vielleicht muss man ja Nicht-Münchner sein, um den Plot angemessen goutieren zu können.

    Mich nervten die vielen Straßennamen. Muss man unbedingt wissen, dass Dillen von der Boschetsrieder- in die Aidenbachstraße einbiegt? Was hilft das dem hiesigen wie dem auswärtigen Leser, der nicht die leiseste Ahnung hat, dass sich an der Kreuzung dieser beiden öden Straßenzüge der anerkannt hässlichste Platz von München (wahrscheinlich sogar von ganz Europa) befindet?

    Detlef Bierstadt liest mit weltmännischer Klasse, aber gegen das aufdringliche und zugleich nichtssagende Lokalkolorit kommt sein hervorragender Vortrag leider nicht an.
     
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