Vorlesen - find ich gut!

  • Ersteller Ersteller käferli
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Beginnt man besser mit dem Hundertjährigen oder der Analphabetin, oder egal?
Hmmmm. Diese Frage kann Dir nur jemand wie niwashi beantworten, der beide Romane gelesen hat.


Andrea Sawatzki “Ein allzu braves Mädchen”

Psychogramm

Die Ausgangssituation: fast zeitgleich werden in einem Waldstück eine verstörte junge Frau, und in einem nahegelegenen Haus die Leiche eines älteren Mannes gefunden. Keine Frage, dass eine Verbindung besteht. Der Psychiaterin Dr. Minkowa gewährt das “allzu brave Mädchen” nach und nach Einblick in ihre Lebensgeschichte.

Obwohl Tat und mutmaßliche Täterin schon frühzeitig feststehen, ist der eigenwillige Roman durchaus recht spannend. Der Schreibstil ist überwiegend nüchtern und liest sich über große Strecken wie ein fachmedizinisches Protokoll der psychiatrischen Sitzungen. Gerade dadurch wirkt die schockierende Lebensgeschichte erschreckend real.

Andrea Sawatzki liest emotional und stimmig. Es gelingt ihr gut, die beklemmende Grundstimmung zu vermitteln. Flüssig geschrieben, hervorragend gelesen, und dennoch… angesichts des lockeren Buchtitels hatte ich einen “normalen” Krimi erwartet, und wurde von der unvermuteten Betroffenheit einfach überrumpelt. Dank seiner Kürze (das Hörbuch passt auf drei CDs) ließ sich das Thema dann aber doch ganz gut ertragen.
 
  • Diese Frage kann Dir nur jemand wie niwashi beantworten, der beide Romane gelesen hat.

    Ich glaube inzwischen, es ist egal. Die Geschichten stehen ja in keinerlei Beziehung zueinander. Ausser, das eine wäre sehr viel besser wie das andere...,aber sie haben ja beide gute Kritiken.

    Ich wollte mir in meiner Bibliothek wirklich ein Hörbuch besorgen, als Motivationshilfe für meine Lieblingsbeschäftigung, das Bügeln. Mit Elke Heidenreich in der Hand bin ich zur Ausleihe gegangen. Natürlich wusste ich, dass mein Abo nur für die Printmedien gilt. Habe gedacht, ich könne einfach für die Hörbuchausleihe zahlen. Im Computerzeitalter geht das nicht mehr. Es ist das erste Mal das ich bedauert habe, nicht auch so ein kleines Gerät mit Ohrstöpseln zu haben, und ich war sehr verärgert über das unflexible System! Der Bügelberg..., er wartet noch!
     
    Das ist natürlich Mist. Vielleicht kannst Du ein neues Jahresabo buchen, bei dem Hörbücher eingeschlossen sind. In D kannst Du für läppische 20 Euro Jahresbeitrag bei allen Medien nach Herzenslust zugreifen.


    Heinrich Steinfest: “Batmanns Schönheit”

    Mutmaßlich (wieder einmal?) letzte Geschichte der Serie um Cheng, den einarmigen Wiener Privatdetektiv chinesischer Abstammung. Mehr noch als in anderen Werken des begnadeten Wort-Jongleurs spottet die Handlung jeder Beschreibung. Mit Sicherheit kein Buch für die Freunde geradliniger Kriminalgeschichten.

    Mehr denn je treibt Steinfest die Absurditäten auf die Spitze. Eine unmögliche Story voll schräger Vergleiche und kurioser Abschweifungen, irgendwie mit der Stadt Wien verbunden.

    Leider todsicher die letzte der von Dietmar Mues gelesenen Cheng-Geschichten. Keiner las süffisanter, ironischer und hintergründiger als der immer leicht heisere Hamburger Schauspieler, der 2011 einem Verkehrsunfall erlag. Mues hinterlässt eine schmerzliche Lücke.
     
  • hab Batmans Schönheit gelesen ... und ich muß sagen, es ist nicht Steinfests bestes Werk ... um genau zu sein, ich war enttäuscht; trotzdem ein Dank an Mariaschwarz, die mir den Autor näher gebracht hat!

    n.
     
  • ein Dank an Mariaschwarz, die mir den Autor näher gebracht hat!

    Da kann ich Dir nur zustimmen. Die Tipps von Mariaschwarz sind Spitze. Zum Beispiel der folgende:


    Marcel Proust “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit”

    meisterhafter Zeitspiegel in sieben Bänden.

    Die Schilderungen der dekadenten Pariser Gesellschaft von vor hundert Jahren faszinieren ebenso wie die weitschweifig gesponnenen Ausführungen von Gedanken und Gefühlen des Ich-Erzählers. Eine wunderbare Lektüre, die volle Konzentration verlangt. Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit den ausschweifenden Sätzen (ich brauchte etwa ein halbes Dutzend Anläufe mit meinem ersten Band) hat sich der Roman zu einem wahren Suchtmittel entwickelt. Hat man sich erst "eingelesen", so ist die ebenso gepflegte und farbige, wie auch glasklar sezierende Sprache ungemein erbaulich zu hören.

    Band 1 “Swanns Welt”

    der Preis von knapp vierhundert Euro für das Hörbuch erschien mir übertrieben, und so begnügte ich mich mit der Erinnerung an die Verfilmung, die da hieß “eine Liebe von Swann”. (Die Kokotte Odette sucht durch die Heirat mit Swann Zugang in die feine Gesellschaft - doch stattdessen verliert Swann sein hohes Ansehen).
    Die restlichen Bände stellt GsD unsere vorbildliche Stadtbibliothek zur Verfügung. :)

    Band 2 “Im Schatten junger Mädchenblüte”

    das über zwanzigstündige Werk schildert die ersten zarten Liebesgefühle des jungen Proust, der sich fanatisch in die selbigen hineinsteigern konnte. Bezaubernde Beschreibungen von Personen, Orten und Kultur.

    Band 3 “Guermantes”

    ein ähnlich fetter Schmöker auf 23 CDs, liest sich etwas langatmiger. Die vielen Personen können einen schon fordern. Herrlich bissig werden die Rivalitäten der Salons geschildert, die sich permanent mit gesellschaftlich möglichst hoch stehenden Besuchern zu überbieten versuchten. Frappierend, wie stark die Dreyfus-Affäre um einen jüdischen, des Landesverrats angeklagten Hauptmann, die Gesellschaft polarisiert. Antisemitisches Gedankengut beginnt sich breit zu machen.

    Auf die restlichen vier Bände freue ich mich schon, wenngleich es mir jetzt schon leid tut, dass schon so viel von dem wunderbaren Werk “weggelesen” ist.


    Peter Matic interpretiert die schwierige Lektüre wahrhaft begnadet. Mit ruhiger, klarer Intonation unterstützt er den Hörer beträchtlich beim Erfassen von Prousts unglaublichen Bandwurm-Schachtelsätzen. Seine unaufgeregte Melodie, die freundliche, verbindliche Stimmlage vervollständigen den riesengroßen Hörgenuss.

    Angesichts des Umfangs von etwa zwanzig Stunden pro Band verwundert es übrigens nicht, dass die vollständige Lesung einen Zeitraum von acht Jahren beanspruchte hat.
     
    Zuletzt bearbeitet:
    Joy Fielding “Das Verhängnis”

    Die attraktive Suzy wird von ihrem Mann misshandelt, sie lernt in einer Bar drei Freunde kennen. Was mit einer harmlosen Wette beginnt, mündet in eine Katastrophe und zu guter Letzt in ein ziemlich überraschendes Ende.

    Hansi Jochmann liest diesmal etwas engagierter als in Joy Fieldings “Lauf, Jane, Lauf”. Trotzdem hört sich ihr Vortrag bieder und altbacken an. Ein großer Teil der Vokale klingt wie durch einen Knödel gepresst, so dass selbst bei den “tiefseelbauen Augen” vor meinem inneren Auge leider nur das Bild zweier trüber Tümpel entsteht.
     
  • Peter Hoeg “Das stille Mädchen”

    verschrobener, surrealer Krimi

    Bei diesem Roman musste ich bestimmt ein halbes Dutzend Anläufe nehmen, weil ich bei den ersten Versuchen immer nur Bahnhof kapierte. Wegen der eindrucksvollen Sprache und des hervorragenden Vortrags wagte ich mich immer wieder aufs Neue daran.

    Klaramaria ist ein Kind mit ganz besonderen Eigenschaften. Nur der Artist und Zirkusclown Kasper, der ebenfalls besondere Fähigkeiten hat und sich dem Mädchen unerklärlich verbunden fühlt, kann sie aus den Händen böser Buben retten. Das Verständnis des überdrehten Krimis wird durch geschachtelte Zeitebenen und viele Szenen, die man erst im Nachhinein verstehen kann, erheblich behindert.

    Die Handlung ist grotesk und comicartig, mit viel Atmosphäre. Ein Genuss ist die anspruchsvolle Sprache, bei der der Autor von “Fräulein Smilla” weitgehend ohne Kommata auskommt.

    Max Volkert Martens liest die kurzen Sätze gedehnt und genau so exaltiert, wie der Roman geschrieben ist. Seine vielschichtige Intonation erweckt Kaspar zum Leben. Obwohl imho kein Mensch das Hörbuch nach nur einmaligem Hören verstehen kann ("Zurückblättern" wäre manchmal hilfreich), ist dank des großartigen Vortrags das Hörbuch dem Buch unbedingt vorzuziehen.

    Ein Buch, das ich mir bestimmt bald wieder anhören werde - wenngleich ich für jeden Verständnis habe, der das Werk womöglich für wirr und misslungen hält.
     
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    Michael Tietz “Rattentanz”

    hanebüchenes Endzeit-Drama um einen Stromausfall im Schwarzwald.

    Eine gute Grundidee, schlimm umgesetzt. Zahllose Figuren, so flach wie Pappendeckel. Die Story ersäuft in belanglosen Beschreibungen. Ärgerlich die völlig überzogene Darstellung der anarchischer Verhältnisse nach nur wenigen Stunden Stromausfall, wie auch die platte Schwarzweißmalerei.
    Nach kaum einem Drittel habe ich kapituliert. Eine ärgerliche Zeitverschwendung. :mad:

    Achim Buch liest in gewohnter Klasse gegen den unsäglichen Text an. Was für eine bedauerliche Verschwendung seines ausgezeichneten Vortrags.
     
    Andreas Eschbach “Herr aller Dinge”

    Futuristischer Wissenschaftsroman

    Der arme, aber hochintelligente Klischee-Japaner Hiroshi und die attraktive Diplomatentochter Charlotte sind auf wundersame Weise miteinander verbunden und begegnen sich über die Jahre hinweg immer wieder. Gutmensch Hiroshi will die Armut auf der Welt beseitigen. Seine wahrhaft innovative Erfindung aus dem Reich der Nano-Technologie könnte ihn dazu in die Lage versetzen.

    Faszinierend die ideenreiche Beschreibung einer komplexen neuen Technologie, die eingetretene Pfade verlässt und ungeahnte Horizonte eröffnet - eigentlich zu schön, um wahr zu sein.

    Unfassbar dagegen, dass ein derart herausragend intelligenter Mann wie Hiroshi die politischen Folgen seiner Erfindung nicht absieht und daher nicht die Umsicht besitzt, nebst seinen guten Taten für die Menschheit auch ein kleines happy end für sich und seine Liebe herauszuschlagen. Der Schluss berührt und stimmt traurig. Zugegebenermaßen ist er jedoch stimmig und darf gar nicht anders sein.

    Matthias Koeberlin liest ruhig und klar. Seine abgeklärte, stets unterschwellig bedeutungsschwangere Sprechweise trägt viel zur Faszination des Romans bei.
     
    Rafik Schami “Die dunkle Seite der Liebe”

    Eindringlich erzählte Familiensaga um eine Blutfehde zwischen zwei weit verzweigten syrischen Clans, die überdies in sich tief zerstritten sind. Romeo (Farid) und Julia (Rana) kämpfen um ihre Liebe und ums Überleben.

    Das über 20-stündige Monumenalwerk ist aufgebaut als ein Mosaik von zahllosen Einzelgeschichten. Es geht um Liebesränke und Betrügereien, aber auch um Korruption und Barbarei, um Vergewaltigung, Terror und Folter vor der Kulisse wechselnder politischer Systeme und Diktaturen. Und natürlich geht es auch um Schamis geliebtes Damaskus, das lebendig und orientalisch pulsierend dargestellt wird. In schillernden Facetten wird der damaligen Alltag von muslimischen und christlichen Syrern geschildert, bei denen es nicht immer christlich zuging.

    Chronologische Sprünge machen das Hören des opulenten Werkes manchmal etwas anstrengend. Dafür erlaubt es der “modulare” Aufbau des Romans, jederzeit kleine Happen hören zu können, da man den weitgehend abgeschlossenen Kapiteln auch dann folgen kann, wenn einem ihre Einordnung im Gesamtkunstwerk momentan unklar ist.

    Markus Hoffmann und Andrea Hörnke-Triefa lesen beide kraftvoll und melodisch. Andrea Hörnke-Triefa glänzt überdies durch beeindruckende Wutausbrüche, wenn beispielsweise Farids Mutter ihr Kind gegen schlimmes Unrecht verteidigt (Achtung beim Autofahren: Lautstärke nicht zu stark aufdrehen!).
    Rafik Schami persönlich schildert im Anhang die vierzigjährige Entwicklung des Romans, welchem in der jetzigen Fassung die Original-Stammbäume dreier syrischer Großfamilien zugrundeliegen.
     
  • Marc Elsberg „Blackout“

    Ein Stromausfall breitet sich von Italien und Schweden über ganz Europa aus. Der italienische IT-Spezialist Manzano kommt der Ursache auf die Spur. An verschiedenen europäischen Schauplätzen laufen die Ermittlungen heiß, buchstäblich in letzter Minute kann eine weltweite Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes verhindert werden.

    Die Geschichte lebt weniger von dem nicht immer ganz schlüssigen Aufklärungskrimi, sondern vom Horror des Alltags in der Situation eines länger dauernden Stromausfalls. Natürlich fallen Ampeln und Aufzüge aus, ebenso die elektronischen Medien und Internet. Aber auch: die Versorgung in Krankenhäusern, Tankstellen, Toiletten, Melkanlagen und vieles mehr.

    Dass Manzano das Taxi mit seinem letzten Bargeld bezahlt, wird lediglich in einem Nebensatz erwähnt und birgt in seiner Konsequenz mehr Gruselpotential in sich als die schlimmsten Missetaten der durchgeknallten Kleinbürger in Michael Tietzes (weiter oben beschriebenem) „Rattentanz“. Nach der Lektüre freut man sich unbandig über eine heiße Dusche und ein kühles Bier aus dem Kühlschrank.

    Steffen Groth hat ein besonderes Talent, den Figuren eigene Stimmen zu geben. Dabei trifft er die Charaktere sehr gut, zum Beispiel den bauernschlauen Bayern, der in einer Notsituation Wucherpreise für sein Benzin verlangt.
    Angesichts der Vielzahl der handelnden Personen hat er sich hier aber übernommen. Er muss schon tief in die Trickkiste von Heiserkeit und Akzenten greifen, um immer neue Stimmen zu erzeugen, die sich der Hörer ohnehin nicht alle merken kann.
     
  • Patricia Cornwell “Scarpetta Factor”

    Langatmiger und überfrachteter Krimi um die New Yorker Gerichtsmedizinerin Dr. Kay Scarpetta

    An sich stellt die Arbeit einer Pathologin fast schon eine Garantie für fesselndes Krimivergnügen dar. Und so wäre die Aufklärung der Serienmorde ja auch leidlich spannend. Leider wird jedoch in diverse Vorgeschichten und Intrigen gegen die Protagonistin abgeschweift, was beim Hören den Eindruck eines “daily-soap”-Serienkrimis erzeugt.

    Wohl eher ein Buch für eingefleischte Scarpetta-Fans, für normale Krimileser nicht sooo packend.

    Nina Petri liest sehr ruhig und gleichförmig, aber diesmal erfreulich warmherzig und kein Bisschen schnippisch.
     
    Arnaldur Indidrason “Abgründe”

    Islandkrimi

    Als Folge eines kleinen Freundschaftsdienstes wird Kommissar Sigurdir Oli in einen Mordfall verwickelt. Nach und nach deckt er die dahinter steckenden Motive und weitere Verbrechen auf. Parallel dazu wird eine weit zurückliegende Missbrauchsgeschichte bis zum bitteren Ende erzählt.

    Auch dieser in Island spielende Krimi besticht durch eine raue, melancholische Grundstimmung und die für Indidrason typische Erzählweise der leisen Töne. Vom beschaulichen Flair des kleinen Inselstaates kommt diesmal allerdings nicht ganz so viel herüber wie zuvor in “Todesrosen”.

    Schöner, ruhiger Kriminalroman, jedoch kein Lesestoff für Freunde spannungsgeladener Action.

    Walter Kreyes ruhige, mitfühlende Sprechweise unterstützt noch die düstere Stimmung des Romans. Dass er - angeblich - isländische Ortsnamen falsch ausspricht, hat seinen hervorragenden Vortrag für mich nicht beeinträchtigen können.
     
    Bernhard Schlink “Der Vorleser”

    Der Roman spielt in der Nachkriegszeit. Im ersten Teil beschreibt Schlink einfühlsam und fesselnd die Liebesbeziehung des 15-jährigen Michael mit der 20 Jahre älteren Hannah, welcher er häufig Literatur vorliest.

    Von einem Tag auf den anderen verschwindet Hannah aus seinem Leben. Erst als Jurastudent sieht er sie unverhofft wieder. Sie ist Angeklagte in einem Prozess gegen mehrere KZ-Aufseher, den er im Rahmen eines Seminars beobachtet. Michael wird jetzt erst klar, dass sie Analphabetin ist und sich - da sie das nicht zugeben will - nicht richtig gegen die Anklage wehren kann.

    Die Geschichte ist faszinierend und bewegend. Die schmucklose, zugängliche Sprache spricht an. Ein kluges, menschliches Buch.

    Hans Korte liest hervorragend. Seine nicht zu junge Stimme überzeugt voll und ganz. Man glaubt ihm sofort, dass er alles genau so erlebt hat.
     
    Cody McFadyen “Das Böse in uns”

    Wieder einmal geht es darum, einen Massenmörder zur Strecke zu bringen. Trotzdem handelt es sich hier eher um einen leidlich spannenden Krimi als den versprochenen Thriller - daran kann auch die Rekordzahl von weit über hundert Morde nichts ändern. Nach uninspirierten Ermittlungen findet die Story ein wenig spektakuläres Ende. Die Motive des Täters sind unlogisch und lassen sich bis zuletzt nicht so recht nachvollziehen.

    Das Privatleben von Ich-Erzählerin und FBI-Ermittlerin Smoky Barett und ihrem Team nimmt nervtötend viel Raum ein. Überflüssige Rückblenden in die Handlung der beiden Vorgängerromane (“Die Blutlinie” und “Todeskünstler”) stören - insbesondere nervt das wiederholte Lamento über früher erlittenes Ungemach.

    Was das Hörbuch dennoch hörenswert macht, ist die famose Lesekunst von Franziska Pigulla, deren Stimme ich bereits bei Dana Scully aus der Kult-Serie "Akte X" zu schätzen wußte. Sie liest lebhaft und klar akzentuiert und erweckt die Figuren zum Leben. Ihre dunkle, ausdrucksvolle Stimme mit diesem charakteristischen kleinen rostigen Knarzen hat einfach das gewisse Etwas, und vermag aus der lahmen Story viel mehr herauszuholen als eigentlich drin steckt.
     
    Jürgen Domian „Der Gedankenleser“

    larmoyanter Fiktions-Roman

    Der ich-Erzähler Arne Stahl kann nach einem Blitzschlag plötzlich die Gedanken seiner Mitmenschen lesen. Die Idee erscheint zu Beginn recht vielversprechend und sogar spannend. Leider flacht die Story rasch ab.

    Nach einem Einblick in ihre wahre Gesinnung trennt sich Arne umgehend von seiner Frau. Alle Menschen in seinem Umfeld entpuppen sich als überaus abstoßende, unehrliche Zeitgenossen. Anders als Mel Gibson in „was Frauen wollen“ macht Arne nichts aus seiner Gabe, sondern flüchtet sich in ein Eremiten-Dasein.

    Ich verrate hoffentlich nicht zu viel mit der Info, dass Arne nach vielen Monaten der Einsamkeit einen aufrichtigen Freund kennenlernt (was langatmigst geschildert wird), und dass sich - quasi als Höhepunkt der Gefühle - seine Gabe eines Tages wieder verflüchtigt.

    Der Schreibstil erinnert an den Hausaufsatz eines mäßig begabten Oberschülers, „Was sollte ich denn nur machen“ , ich dachte „...“. Schon verblüffend, wie wenig man aus einem so schönen Thema machen kann.

    Gelesen wird vom Autor selbst. Zwar fehlerfrei und für einen Nicht-Schauspieler sicherlich respektabel, selbst wenn er über so manches Komma ungerührt hinwegliest. Leider verbreitet sein Vortrag eine dröge und transusige Stimmung, und passt damit sehr gut zur Story.

    Für die belauschten Gedanken verwendet Domian eine technische Verfremdung seiner eigenen Stimme, die - unfreiwillige Komik - stark an Kabarett-Versionen von Angela Merkels Stimme gemahnt.

    Nie werden wir erfahren, ob ein Stimmen(-ungs?)wunder wie Joachim Kerzel mehr aus der Geschichte gemacht hätte...
     
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    Juli Zeh “Adler und Engel”

    Abgedrehter Politthriller, erzählt im Nebel des Drogenrausches.

    Juli Zehs Debütroman ist keine leichte Kost. Die Story wechselt zwischen realen Beschreibungen, Träumen und Dialogen. Eine große Zahl von Rückblenden (besser sollte man hier sagen “Flashbacks”) verlangen beim Hören größte Konzentration.

    Max ist im Begriff sich zu Tode zu koksen, weil er meint, ohne die magersüchtige und seelisch kranke Jessie nicht leben zu können. Zusammen mit weiteren kaputten Typen waren beide in kriminelle Machenschaften verstrickt. Es geht um die europäische Osterweiterung und groß angelegten Drogenhandel auf dem Balkan, mit dem die dortigen Kriege finanziert werden und um die Schiebungen, die hinter den Kulissen der großen Politik an der Tagesordnung sind.

    Reizvoll ist die Sprache: jung, originell, kraftvoll, mit starken Bildern. Sie lässt die nicht so arg sympathischen Protagonisten halb besinnungslos durch die etwas langatmige Handlung torkeln.

    Anna Thalbach ist als Sprecherin eine ausgezeichnete Wahl. Ihr atemloser Vortrag gibt die halluzinatorische Grundstimmung des Romans perfekt wieder. Sie verleiht den Charakteren eigene Stimmen und eigene Persönlichkeiten. Insbesondere die Figur der haltlosen, zerbrechlichen Jessie verkörpert sie in großer Intensität.

    Gewöhnungsbedürftig ist allerdings, dass diesmal eine weibliche Stimme die männliche “Ich”-Figur liest. Nach geraumer Zeit des Hörens wunderte ich mich daher, weshalb das Mädchen “Max” genannt wird.
     
    Lars Kepler “Flammenkinder”

    Skandinavisch düsterer, spannender Thriller

    Nach “Der Hypnotiseur” ein weiterer Roman des hoch dekorierten schwedischen Autoren-Ehepaars, das mit dem Künstlernamen “Lars” an den verstorbenen Schriftsteller Stieg Larsson erinnern will.

    In einem Heim für sozial und psychologisch auffällige Mädchen werden zwei Leichen gefunden. Während die Polizei den Fall bald gelöst zu haben glaubt, ermittelt Kommissar Joona Linna auf eigene Faust weiter. Er erhält Unterstützung durch ein vermeintliches Medium, das mit Geistererscheinungen weiterhelfen will. Zunächst irritiert das übersinnliche Moment, doch es findet alsbald eine sehr reale Erklärung.

    Spannende Story, flüssiger und einfühlsamer Schreibstil (die Sprache passt sehr gut ins Milieu), gut gezeichnete Charaktere, überraschender Wendungen, dramatischer Showdown - was will man von einem Thriller mehr verlangen.

    Wolfram Koch liest zurückhaltend und sachlich-kühl. Seine raue Stimme und sein spröder Vortrag unterstreichen die düstere Atmosphäre des Romans.
     
    Daniel Glattauer “Gut gegen Nordwind”

    Briefroman in Form eines lockeren Email-Dialogs

    Eine fehlgeleitete Email führt zu einer Korrespondenz zwischen der Webdesignerin Emma und dem Sprachpsychologen Leo. Die beiden verlieben sich (oder glauben das zumindest).

    Nach einem prickelnden und vielversprechenden Anfang beginnt das pseudo-witzige Blabla ein wenig zu nerven. Das Gesprächsthema beschränkt sich hauptsächlich auf das Sezieren der Zeilen des anderen und die momentanen eigenen Befindlichkeiten.

    Wenn man über das pubertär dahindümpelnde Sprachniveau hinwegsieht und nicht weiter darüber nachdenkt, wie glaubwürdig die aus den oberflächlichen Mails entstandenen angeblichen großen Gefühle sind, so hat man immerhin eine unbeschwerte, originelle Romanze vor sich, deren Reiz in ihrer Leichtigkeit und einem gewissen vergänglichen Schwebezustand liegt.

    Hervorragend gelesen von Andrea Sawatzki, welche die zickig-verklemmten Witzeleien der Emma schön spritzig und lebendig interpretiert, und ihrem Lebensgefährten Christian Berkel, der durch seine sympathische, markante Stimme auffällt. Die beiden lesen mit viel Herz und verwandeln das seichte Geplänkel in ein temperamentvolles und stellenweise sogar knisterndes Pingpong-Spiel.
     
    Daniel Glattauer “Alle sieben Wellen”

    Absolut überflüssige Fortsetzung des soeben beschriebenen Romans.

    Nach einem eigentlich runden und stimmigen Abschluss wird nun - wieder in Form von Email-Dialogen - die Fortsetzung der Chat-Beziehung zwischen Emma und Leo weitergesponnen. Achtung: hoher Gähnfaktor!

    Leichtigkeit und lockere Flirts sucht man vergeblich. Die gestelzt-geistreichen Dialoge wirken angestrengter als im Vorgängerwerk. Dieser Austausch von Nichtigkeiten hätte sich völlig verlustfrei auf einige wenige Seiten zusammendampfen lassen. Aber die hätte man eben nicht als Folgeroman verkaufen können!


    An manchen Stellen kann nicht einmal das hervorragende Sprecherpaar Sawatzki/Berkel ein unangenehmes Gefühl des Fremdschämens verhindern. Mit diesem peinlichen Schnellschuss hat sich der Autor imho keinen Gefallen getan.
     
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