open-pollinated ist eines der zahlreichen englischen Wörter, die nicht wortwörtlich übersetzt werden sollte. Open-pollinated heißt nix anderes als das was wir samenfest, sortenecht, genetisch stabil, o.ä. bezeichnen. Also eine samenfeste Sorte. Natürlich, im engeren Sinne bedeutet open-pollinated schon sowas wie offen, ungeschützt, unkontrolliert bestäubt. Aber das steht in 'nem anderen Kontext. Gemeint ist der Gegensatz zu anderen Zuchtformen wie die Hybridzüchtung - wo etwa ganz gezielt durch den Menschen zwei Inzuchtlinien miteinander gekreuzt werden - das Ergebnis ist die F1-Hybride, die Hybridsorte. Bei open-pollinated Sorten macht so eine direkte Kreuzung kein Mensch. Die werden eben offen abgeblüht gelassen. 100%ige Sortenreinheit ist da ausgeschlossen. Das ist richtig. Aber die Saatgutproduzenten gärtnern auch in 'nem ganz anderen Maßstab. Da zwängen sich nicht hunderte verschiedene Sorten auf paar wenige Quadratmeter eines Hobbygartens, die sich dann wild miteinander verkreuzen können. Da werden große Mengen an Pflanzen pro Sorte kultiviert auf den Feldern. Und zwischen den Sorten große Abstände gelassen. Zur Samenentnahme werden dann die Früchte mitten im Feld hergenommen. So wird das Risiko einer Verkreuzung minimiert. Im Hobbygarten oder bei kleinen Saatgutproduzenten geht das so freilich nicht. Aber da gibt es dann eben die anderen Taktiken, die auf das Verhüten der Blüten hinaus laufen.
Meine Taktik ist folgende:
Vom ersten Blüten- bzw. Fruchtstand mache ich generell keine Samen. Da dürfen dann in jedem Fall sich die Bestäuberinsekten dran erfreuren, die da bereits emsig unterwegs sind. Der erste Blütenstand ist normalerweise noch nicht so vital. Dieser erste Blütenstand produziert die Pflanze während sie noch eine Jungpflanze ist und in der Regel noch in den kleinen 0,5 Liter Töpfchen verweilt. Die ersten Früchte setzen dann an, während die Pflanze gerade Mal frisch ausgepflanzt ist und nur ein bisschen angewachsen ist.
Ich warte da immer etwas ab. Wenn die Pflanzen die darauf folgenden Blütenstände produzieren sind sie schon gut angewachsen und haben auch deutlich mehr Blattmasse. Und die Pflanzen haben bessere Licht- und Wärmebedingungen. Die größten Erträge pro Fruchtstand habe ich an den Fruchtständen 2-3 und aufwärts. Diese Blütenstände sind dann deutlich üppiger (mehr Blüten pro Fruchtstand) und bei Fleischtomaten die Früchte auch deutlich größer. Daher glaube ich, dass der zweite oder dritte Blütenstand der bessere ist.
Dadurch dass diese Blütenstände dann üppiger ausfallen, ist es leichter ein Verhüterli aufzusetzen. Mit so Teebeutel oder Vliessäckchen habe ich es allerdings auch aufgegeben. Das hat bei mir nicht so funktioniert. Am Liebsten sind mir die Probierstrümpfe. Die sind recht dehnbar. Wachsen also mit, wenn der Blüten- oder Fruchtstand wächst. Und dadurch dass sie eben dehnbar sind, kann man sie soweit außeinander ziehen, dass man gut über die Blütenstände drüber kommt. Und nicht wie bei den Teebeuteln die drüber fummeln muss und am Ende doch alle Blüten abgerissen hat.
Bitte keine luftundurchlässige Tüte oder ähnliches verwenden! Es muss Luft an die Blütenständen. Schon allein wegen der Bestäubung. Tomaten sind Vibrationsbestäuber. Und wenn man Bestäuberinsekten durch das Verhüterli gezielt abhält, muss Wind hinkommen, der die Blüten zum Schütteln bringt. Außerdem muss der Wind das Wasser forttragen, welches die Pflanzen transpirieren. Sprich die Blütenstände schwitzen, und wenn man die einpackt in was undurchlässiges, dann sammelt sich dann das Wasser - das ist nicht gut. Der Pollen verklebt und die Blütenstände schimmeln.
Licht benötigen die Blüten- und Fruchtstände übrigens nicht. Wenn also das Verhüterli den Blüten und Früchten das Licht raubt, ist das garnicht schlimm.
Aber man sollte die Bestäubung unterstützen, da der Wind wohl nicht so optimal durch das Verhüterli eindringt: Den verhüteten Blütenstand immer wieder Mal schütteln, anschnipsen, o.ä. Das verbessert die Bestäubung. Macht man das nicht, so zumindest meine Beobachtung, fallen viele Blüten unbestäubt ab, produzieren nur kleine und/oder samenlose Früchte oder Früchte mit zuviel tauben Samen.
Verhüterli aufgezogen werden sollte spätestens, wenn die älteste Blüte kurz vor dem Aufblühen ist, am Besten, wenn sie noch grüngelb ist.
Ich persönlich verhüte grundsätzlich bei allen Sorten. Wem das zu stressig ist sollte sich zumindest den Blütenaufbau seiner Sorten anschauen. Die einen Sorten (insbesondere Fleisch- und Wildtomaten) schaut das weibliche Geschlechtsteil der Blüte, die Narbe, deutlich zwischen den Staubbeuteln heraus. Siehe unteres Foto, Blüte links. Da ist die Wahrscheinlichkeit einer Verkreuzung ziemlich hoch. Da sollte dann unbedingt verhütet werden. Bei den anderen Sorten verbirgt sich die Narbe, wie etwa auf der rechten Blüte, versteckt zwischen den Staubbeuteln. Eine Verkreuzung ist da eher selten. Da kann man das Verhüterli dann schon einmal vernachlässigen. Restrisiko bleibt - deshalb mach ich es, weil ich da der "Kontrollfreak" bin - aber es ist eher selten.
Hier noch ein Foto eines extremen Beispiels bei einer Wildtomate:
Manchmal kann bei Sorten, bei denen die Narbe normalerweise versteckt ist, trotzdem passieren, dass diese heraus steht, etwa hier bei der Blueberry:
Das wird durch Modifikatoren, sprich Umgebungsbedingungen verursacht. In lichtarmen Umgebungen, sprich schlechter Standort oder lichtarmes Wetter passiert das häufig. Ob es weitere Faktoren gibt weis ich so nicht. Okay, jetzt wirds kompliziert glaube ich. Was ich sagen will: Wer auf ein Verhüterli verzichtet, weil die Sorte ein Verhüterli normalerweise nicht zwingend erforderlich macht, kann sich ja den oder die Blütenstände, von denen er beabsichtigt später Samen zu gewinnen genauer anschauen, ob sich die Narbe auch tatsächlich versteckt hast. Nur so als Empfehlung vollständigkeitshalber.
PS: Markieren der Blütenstände (ich machs mit 'nem Stückchen Bindedraht, den ich locker um den Blütenstand häng) wäre echt sinnvoll, um später zu wissen welcher Fruchtstand nun wahrscheinlich sortenreine Früchte trägt.
Ist nun viel Text - aber im Prinzip isses nicht schwer. Tomaten zu Gießen und zu Düngen ist 'ne viel größere Wissenschaft.
Noch kurz was anderes: Okay, gärtnern und gärtnern lassen, aber meiner Meinung nach kann man der Frucht nicht ansehen, auch nicht am Blütenende, ob diese verkreuzt ist oder nicht. Weil das Aussehen einer Frucht bereits vor dem Aufblühen einer Blüte durch die Mutter vorgegeben ist. Das ist nicht wie bei uns Menschen oder wie bei Tieren. Nehmt mal 'ne Blüte, etwa eine, die noch nicht aufgeblüht hat, außeinander. Nachdem ihr "alles gelbe" entfernt habt, findet ihr sowas vor sich:
Obwohl die Blüte noch nicht aufgeblüht und somit garantiert kein Pollenaustausch, weder mit der selben noch mit anderen Pflanze, hat stattfinden können, findet man 'ne kleine Frucht vor sich. Das ist der Fruchtansatz oder auch Fruchtknoten genannt. Das ist wie bei Kürbisgewächsen (Gurken, Melonen, Zucchini, Kürbis, ...). Da haben die weiblichen Blüten auch bereits einen kleinen Fruchtansatz (diesen kann man aber gut sehen, da dieser sich nicht innerhalb der Blüte sondern hinter der Blüte sich befindet). Etwa wie hier auf dem Foto:
Oben 'ne männliche Wassermelonen-Blüte, gerade am Aufblühen. Unten eine weibliche (mit Fruchtansatz), die noch nicht aufgeblüht hat.
Wenn keine Bestäubung stattgefunden hat stirbt die Blüte mitsamt Fruchtansatz wieder ab. Bei erfolgreicher Bestäubung verwandelt sich die Blüte zu einer Frucht und die Frucht wächst. Aber eben in der Optik wie man es von der Muttersorte her erwartet.
Das hinterfotzige an der Geschichte ist, dass man 'ne Verkreuzung eben nicht an der Frucht sehen kann. Man merkt das erst mit den Pflanzen, die aus dem verkreuztem Samen gezogen werden. Wenn, Achtung jetzt wird es wissenschaftlich, Pollen auf die Narbe gelangt, dann bildet sich im Griffel (das ist das komische lange Ding) der Pollenschlauch. Die Spermien (gibts auch bei den Pflanzen) der Pollenkörner wandern hinunter zum Fruchtansatz zu den Samenanlagen. Und einzig hier passiert dann was. Entweder es kommen die Spermien der eigenen Pflanze an oder zumindest die Spermien der gleichen Sorte, dann werden die Samen sortenrein. Oder es sind Spermien einer fremden Sorte, dann kommen halt verkreuzte Samen bei raus. Nachdem die Bestäubung abgeschlossen ist, stirbt der Griffel (das lange Ding) ab, am Blütenende (das ist da wo die Blütenendfäule auftritt *gg*) bleibt dann so 'n Punkt, so Vernarbungen übrig.
Manchmal kommt es auch vor, dass in einer Blüte zwei oder mehrere Fruchtknoten mit mehreren Griffeln und Narben wachsen.
Das Ergebnis sind beispielsweise Tomaten mit Nasen, sog. Nasenbildung:
(ich hab Einweghandschuhe an, weil wenn man von morgens bis abends Tomaten ausgeizt, hat man durch den Pflanzensaft grünschwarze, verkrustete Finger, was man nur sehr schwer wieder abwaschen kann und selbst bei mir allergische Reaktionen auslöst)
Bei Fleischtomaten sind mehrere Fruchtknoten/Griffel/Narben pro Blüte besonders häufig. Diese Früchte haben dann durch ihre Verwachsungen häufig besonders unansehnliche Narben am sog. Blütenende:
(Auf dem Foto sieht man, wie der obere Teil bereits Farbe bekommt, während der untere noch grün ist => es sind strenggenommen zwei Früchte, die inneinander verwachsen sind)
Manchmal haben solche Früchte regelrecht Löcher in der vermeintlichen Mitte der Frucht und sehen aus wie 'n Donut. Das ist dann auch wieder so 'ne Laune der Natur. Diese mehreren Fruchtknoten sind dann so ulkig ineinander verwachsen.
Besonders hässliche Früchte produziert Purple Calabash. Bei dieser Sorte ist das mit den mehreren Fruchtknoten besonders extrem ausgeprägt. Leider finde ich gerade kein Foto - ich hab daher einfach mal katekits Foto geklaut, hoffe das ist okay:
Und nicht zuletzt gibt es die Laune, dass innerhalb einer Frucht eine Frucht wächst - gleiche Ursache.
Kurzum: Der Frucht kann man 'ner Verkreuzung nicht ansehen. Allenfalls 'ner Blüte kann man erkennen, dass sie von 'ner Hummel besucht worden ist. Vielleicht hat das schon jemand mal beobachtet: Wenn 'ne Hummel eine Tomaten-Blüte reitet, dann beist die in die Staubbeutel rein. An der Stelle wo sie reingebissen hat bleibt dann ein brauner Fleck zurück. Wenn man also so 'n brauner Fleck auf der Blüte entdeckt, kann man daraus schließen, dass die Blüte von 'ner Hummel besucht worden ist. Aber: Nicht in jedem Fall beist die Hummel auch in die Blüte rein, manchmal macht sie das nicht. Und andere Bestäuberinsekten beisen grundsätzlich garnicht. Daher ist das auch keine sichere Methode, um Verkreuzungen zu erkennen.
Einzig bei Arten, wo man die Samen erntet, wie etwa Mais & Bohnen, kann man 'ne Verkreuzung unter Umständen sofort erkennen. Beispielsweise, wenn man 'nen roten Erdbeermais im Garten hat und die Körner aber nachher garnicht mehr so rot sind, weis man, dass der Mais sich wohl mit dem Mais draußen auf den Feldern gekreuzt hat.
Fazit: Sortenreines Vermehren ist viel Text & Gerede. Aber eigentlich ganz einfach: Verhüterli drauf und fertig! Und dann kann man schnackseln...
Grüßle, Michi