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Florina Fina
Guest
Mir sei das OT verziehen - bei so vielen OT-Threads hier im Forum kommt es hoffentlich auf einen mehr auch nicht drauf an. Wenn's stört: löscht ihn, ignoriert mich, sperrt mich.
Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich diesen Thrad erstellen soll. Eigentlich wollte ich es nicht. Aber die Äußerungen von einigen Usern im "Ärger-Fred" von vorgestern haben mich derart entsetzt, und die zeitgleiche Frage meines Bruders "Warum redet ihr Flüchtlingshelfer eigentlich nicht über das, was ihr erlebt?" hat mich zum Nachdenken angeregt. Und so schreibe ich nun doch.
Zur Erinnnerung: ich bin Mitte 40, weiblich und habe einen Sohn im Grundschulalter.
Ich bin Atheist, Pazifist und Humanist aus Überzeugung. Ich möchte im Folgenden einmal meine eigenen, persönlichen, ehrlichen (ja, ehrlichen – bitte keine Vorwürfe, irgend etwas wäre geschönt, übertrieben, untertrieben oder sonstwie unwahr!) Erfahrungen nach sieben Monaten Flüchtlingsarbeit darstellen.
Ich kümmere mich also um Flüchtlinge, Migranten, Asylbewerber oder wie auch immer man diese Menschen nennen möchte (ehrenamtlich, neben meinem Beruf, den ich im Schichtsystem ausübe). Und zwar in verschiedener Weise:
1.) Als Initiatorin, Organisatorin und Koordinatorin der medizinischen Versorgung in einer 400 Plätze umfassenden Erstaufnahmeeinrichtung. Ich koordiniere diesbezüglich alle niedergelassenen Arztpraxen des betreffenden Ortes. Da die medizinische Versorgung der Flüchtlinge dennoch mangelhaft blieb, eröffnete ich direkt in dem Heim eine eigene Praxis, die von mir und einigen anderen engagierten KollegInnen neben unserer Krankenhaustätigkeit betrieben wird. Ich bin mindestens einmal wöchentlich dort, manchmal auch täglich, manchmal auch mehrfach täglich. (Nochmal: ehrenamtlich, neben Job und Familie, freiwillig, aus eigener Intention, ohne „offiziellen“ Auftrag, ohne Verein, ganz privat, ausgestattet und unterhalten rein aus Spenden.)
Ich habe etliche hundert Menschen aus ca. 20 verschiedenen Nationen (wobei ich niemals nach Nationalität frage) untersucht, behandelt, weitervermittelt. Unterernährte Kinder, Folteropfer, Menschen mit nicht heilenden, eiternden Schusswunden, weil das Projektil noch im Körper steckt, Menschen mit chronischen Wunden an den Füßen, weil sie tatsächlich zweitausend Kilometer oder mehr zu Fuß zurückgelegt haben, Menschen, die schreckliche und furchtbare Dinge erlebt haben. Viele von ihnen haben mir, ohne dass ich je danach gefragt hätte, ihre ganz persönlichen Fluchtgeschichten erzählt. Ebenso wenig frage ich nach dem Aufenthaltsstatus – wer zu mir kommt, bekommt Hilfe. Schlicht und ergreifend, nicht mehr und nicht weniger.
2.) Ich betreibe des weiteren klassische Sozialarbeit und zum Teil auch Asylberatung. Hier betreue und begleite ich ca. 40 Personen (alles junge Männer, die altersmäßig fast alle meine Söhne sein könnten, alles Muslime, falls euch das interessiert – mir ist das nämlich völlig wurscht, denn es sind in erster Linie Menschen aus Fleisch und Blut mit Gedanken und Gefühlen, die sich nicht grundlegend von den meinen unterscheiden) aus vier verschiedenen Ländern – die allermeisten bereits seit ihrer Ankunft in Deutschland. Von jedem Einzelnen kenne ich den persönlichen Hintergrund und Details aus deren Asylverfahren. Ich organisiere für sie alle möglichen Termine, Deutschkurse, Therapien, begleite dahin und dorthin, mache Anträge, Behördenpost, Widersprüche usw.; BAMF, Gesetzeslage, Rechtsmittel, Leistungen, ist mir alles vertraut. Ich bin für diese Gruppe da für alle großen und kleineren Probleme von der nicht funktionierenden Heizung in der Unterkunft bis zum Übersetzen, Erklären, Reden, Zuhören, Seele trösten, Tränen trocknen. Ja, auch dafür! Einige dieser Jungs habe ich schon bittere Tränen vergießen sehen...
Mit wechselnden Teilen dieser Gruppe (alle auf einmal sind einfach zu viel) verbringe ich auch regelmäßig meine Freizeit. Wir haben schon gemeinsame Unternehmungen und Ausflüge gemacht, im Garten gegrillt, zu Hause gekocht, den letzten, noch gar nicht lange zurückliegenden Jahreswechsel gemeinsam gefeiert. Hochinteressant sind die Gespräche, die sich dabei ergeben – z.B. über die aktuelle Weltpolitik, den Islam, IS, Terror, Weltanschauungen, Moral- und Wertvorstellungen, deren Sicht auf Deutschland und ihre Herkunftsländer usw.
Wenn ihr denkt, ich bediene jetzt die üblichen Vorurteile über fünf Mal am Tag beten, strikte Alkoholkarenz, Gewaltbereitschaft und Frauenverachtung, dann täuscht ihr euch gewaltig – meine diesbezüglichen Erfahrungen sind nämlich ganz andere, aber komplett und völlig andere!
3.) Ein schwer traumatisierter Flüchtling genießt bei uns praktisch Familienanschluss. Er wohnt zwar in seiner Unterkunft, übernachtet aber öfter hier und bleibt, wenn es ihm ganz schlecht geht, auch mal mehrere Tage bei uns. Selbstverständlich kenne ich auch seine Geschichte im Detail, bin bei jeder Therapiesitzung dabei etc.
Ich würde also mal behaupten, ich habe recht vielschichtige Erfahrungen mit Menschen aus aller Herren Länder und mit unterschiedlichsten kulturellen und persönlichen Hintergründen. Außerdem habe ich etliche Jahre in einem völlig anderen Kulturkreis gelebt, was meine Weltanschauung und meine Überzeugungen sehr geprägt hat.
Positive Erfahrungen:
Alle, ausnahmslos alle Flüchtlinge, mit denen ich bisher persönlich zu tun hatte, sind mir mit Achtung, Respekt, Freundlichkeit, ausgesprochener Höflichkeit und vor allem mit größter Dankbarkeit begegnet. Kein einziger hat mich je dumm angemacht oder gar angefasst, kein einziger hat sich je meiner ärztlichen Untersuchung oder Behandlung verweigert. (Und was dieses dämliche Händeschütteln angeht: das wird in vielen, vielen Ländern und Kulturen dieser Erde aus verschiedensten Gründen nicht gemacht, die meisten davon sind nicht muslimisch, und ich finde das völlig in Ordnung! Auch ich gebe ehrlich gesagt ungern die Hand.)
Ich fühle mich also in keinster Weise degradiert, im Gegenteil – ich werde oft von meinen Flüchtlingen um Rat gefragt, und was ich sage, das zählt. Mein Wort gilt, auch wenn es mal Grund gibt, laut zu werden: Ich habe eine Gruppe meiner Schäfchen einmal zusammengefaltet, weil sie den an sich lang herbeigesehnten und von mir organisierten Deutschkurs nach der dritten Stunde geschwänzt haben – man stelle sich vor: eine deutsche Frau schimpft mit einer Gruppe von muslimischen Männern! Kein einziger hat Widerworte gegeben, im Gegenteil, sie haben sich entschuldigt, sind vortan pünktlich zum Unterricht erschienen und haben seit dem noch größere Achtung vor mir.
Einige Zitate, von verschiedenen Flüchtlingen zu verschiedenen Anlässen zu mir gesagt, möchte ich wörtlich wiedergegeben (lediglich übersetzt):
„Ich mache nur, was zu sagst. Egal was, zuerst frage ich dich! Du bist klug und weise, ich weiß dass das, was du mir rätst, gut für mich ist.“
„Es ist das erste Mal seit Griechenland, dass ich so jemand treffe wie Sie...“
„Sie sind meine Schwester. Sie sind eine von uns. Wirklich, ich fühle es, Sie sind meine Schwester, Sie gehören zu uns. Tausend Dank...!“
„Mir ist in Europa noch nie jemand wie Sie begegnet.“
„Natürlich habe ich Probleme, große Probleme. Aber ich bin doch nur ein Flüchtling... Danke, dass Sie mir helfen. Ich weiß nicht, was hier alleine aus mir werden würde.“
„Wenn du nicht wärst, wäre ich schon längst zum rauchenden, kiffenden, Alkoholiker geworden...“
„Kalt sind die Menschen in Deutschland. Die Leute hier denken nur ans Geld. Sie sehen nichts um sich herum. Vor allem sehen sie in uns Flüchtlingen keine Menschen.“
„Bitte, bitte, lass' mich nicht allein! Ich hab' doch hier niemanden... Du bist doch der einzige Mensch, den ich hier habe...!“
„Ich habe einen neuen Zimmergenossen bekommen. Stell' dir mal vor – der betet sogar fünf Mal am Tag!“ [Alle Muslime, die ich kenne, haben zu ihrer Religion ungefähr das selbe Verhältnis, das deutsche „Christen“ zu ihrem Glauben haben, die maximal an Heiligabend in die Kirche gehen.]
„Was ist das für eine Welt, in der man Gewalt offen zeigen kann, aber Liebe verstecken muss?“
„Bei dir hier [gemeint ist meine Wohnung, mein Garten] fühle ich mich frei und sicher und kann mal für ein paar Stunden vergessen...“
„Es gibt so viele Dinge, die Frauen missachten. Aber eine Frau ist doch kein Stück Fleisch! Eine Frau zu respektieren hat oberste Priorität!“ [Ja, auch das stammt von einem Muslim!]
(Im Übrigen gibt es vieles, was im Koran steht und die Frau hoch achtet.)
Aber auch über meine negativen Erfahrungen möchte ich natürlich berichten:
Die Reifen meines Autos waren schon mehrfach zerstochen, als ich aus meiner Praxis im Flüchtlingsheim kam, im Lack waren Hakenkreuze; wie oft ich von Deutschen angepöbelt wurde, habe ich nicht mitgezählt (von Ausländern noch kein einziges Mal). Ermittlungen wurden stets ergebnislos eingestellt. Ich achte peinlichst darauf, dass niemand man meine Adresse erfährt.
Meinem Sohn sage ich, er soll in der Schule nichts davon erzählen, dass wir Flüchtlingen helfen. Er soll niemandem sagen, dass wir gemeinsame Ausflüge machen, grillen, feiern oder manchmal jemand bei uns übernachtet. Um ihn zu schützen, er würde sonst gemobbt und angegriffen. In was für einer Gesellschaft leben wir eigentlich, in der ich mein Kind vor meinen eigenen gelebten Idealen schützen muss? Vor allem: in jüngster Geschichte hatten wir es in Deutschland schon mehrfach, dass man sich gut überlegen musste, in wessen Hörweite man was sagt, das kenne ich aus eigener Erfahrung nur zu gut! Auch meine Mutter hat mir eingebläut, was ich auf keinen Fall in der Schule erzählen darf...
Von vielen Bekannten und sog. „Freunden“ werde ich nicht mehr gegrüßt, sondern gemieden, verachtet und gehasst. Respektierung und Achtung (der Frau)??? Dass ich nicht lache! Ich werde von niemandem mehr geachtet und respektiert wie von Flüchtlingen, und von niemandem so sehr missachtet und angefeindet wie von Deutschen!
Ein paar Schlussbemerkungen:
Wer Respekt von anderen fordert, sollte ihnen ebenso respektvoll begegnen. Wer gegenüber Flüchtlingen und deren Helfern hetzt und pöbelt, verhält sich sehr respektlos.
Wer Integration fordert, sollte wissen, dass es unmöglich ist, irgendwo dazuzugehören, wenn man einen nicht dazugehören lässt. Integration muss IMMER von beiden Seiten ausgehen und gelingt nur durch persönlichen Kontakt.
Es schadet nie, über den eigenen Tellerrand zu schauen, Vorurteile abzulegen und sich selbst ein Stück weit anzupassen. Ich trage keinen Minirock, hautenge Hosen oder schulterfreies Top, wenn ich mit meinen Flüchtlingen zu tun habe. Das hat absolut nichts mit Einschränkung meiner persönlichen Freiheit zu tun, sondern mit Respekt den Fremden und ihrer Kultur gegenüber!
Die letzten sieben Monate waren eine extreme Bereicherung für mein persönliches Leben. Ich möchte sie nicht missen.
Wer über ähnlich vielschichtige persönliche Erfahrungen mit diesem Thema verfügt, ist gerne eingeladen, mit mir sachlich und auf Augenhöhe darüber zu diskutieren. Aber bitte - keine Lobhudelei, darauf kann ich genauso gut verzichten wie auf Polemik und Hetze.
Danke!
Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich diesen Thrad erstellen soll. Eigentlich wollte ich es nicht. Aber die Äußerungen von einigen Usern im "Ärger-Fred" von vorgestern haben mich derart entsetzt, und die zeitgleiche Frage meines Bruders "Warum redet ihr Flüchtlingshelfer eigentlich nicht über das, was ihr erlebt?" hat mich zum Nachdenken angeregt. Und so schreibe ich nun doch.
Zur Erinnnerung: ich bin Mitte 40, weiblich und habe einen Sohn im Grundschulalter.
Ich bin Atheist, Pazifist und Humanist aus Überzeugung. Ich möchte im Folgenden einmal meine eigenen, persönlichen, ehrlichen (ja, ehrlichen – bitte keine Vorwürfe, irgend etwas wäre geschönt, übertrieben, untertrieben oder sonstwie unwahr!) Erfahrungen nach sieben Monaten Flüchtlingsarbeit darstellen.
Ich kümmere mich also um Flüchtlinge, Migranten, Asylbewerber oder wie auch immer man diese Menschen nennen möchte (ehrenamtlich, neben meinem Beruf, den ich im Schichtsystem ausübe). Und zwar in verschiedener Weise:
1.) Als Initiatorin, Organisatorin und Koordinatorin der medizinischen Versorgung in einer 400 Plätze umfassenden Erstaufnahmeeinrichtung. Ich koordiniere diesbezüglich alle niedergelassenen Arztpraxen des betreffenden Ortes. Da die medizinische Versorgung der Flüchtlinge dennoch mangelhaft blieb, eröffnete ich direkt in dem Heim eine eigene Praxis, die von mir und einigen anderen engagierten KollegInnen neben unserer Krankenhaustätigkeit betrieben wird. Ich bin mindestens einmal wöchentlich dort, manchmal auch täglich, manchmal auch mehrfach täglich. (Nochmal: ehrenamtlich, neben Job und Familie, freiwillig, aus eigener Intention, ohne „offiziellen“ Auftrag, ohne Verein, ganz privat, ausgestattet und unterhalten rein aus Spenden.)
Ich habe etliche hundert Menschen aus ca. 20 verschiedenen Nationen (wobei ich niemals nach Nationalität frage) untersucht, behandelt, weitervermittelt. Unterernährte Kinder, Folteropfer, Menschen mit nicht heilenden, eiternden Schusswunden, weil das Projektil noch im Körper steckt, Menschen mit chronischen Wunden an den Füßen, weil sie tatsächlich zweitausend Kilometer oder mehr zu Fuß zurückgelegt haben, Menschen, die schreckliche und furchtbare Dinge erlebt haben. Viele von ihnen haben mir, ohne dass ich je danach gefragt hätte, ihre ganz persönlichen Fluchtgeschichten erzählt. Ebenso wenig frage ich nach dem Aufenthaltsstatus – wer zu mir kommt, bekommt Hilfe. Schlicht und ergreifend, nicht mehr und nicht weniger.
2.) Ich betreibe des weiteren klassische Sozialarbeit und zum Teil auch Asylberatung. Hier betreue und begleite ich ca. 40 Personen (alles junge Männer, die altersmäßig fast alle meine Söhne sein könnten, alles Muslime, falls euch das interessiert – mir ist das nämlich völlig wurscht, denn es sind in erster Linie Menschen aus Fleisch und Blut mit Gedanken und Gefühlen, die sich nicht grundlegend von den meinen unterscheiden) aus vier verschiedenen Ländern – die allermeisten bereits seit ihrer Ankunft in Deutschland. Von jedem Einzelnen kenne ich den persönlichen Hintergrund und Details aus deren Asylverfahren. Ich organisiere für sie alle möglichen Termine, Deutschkurse, Therapien, begleite dahin und dorthin, mache Anträge, Behördenpost, Widersprüche usw.; BAMF, Gesetzeslage, Rechtsmittel, Leistungen, ist mir alles vertraut. Ich bin für diese Gruppe da für alle großen und kleineren Probleme von der nicht funktionierenden Heizung in der Unterkunft bis zum Übersetzen, Erklären, Reden, Zuhören, Seele trösten, Tränen trocknen. Ja, auch dafür! Einige dieser Jungs habe ich schon bittere Tränen vergießen sehen...
Mit wechselnden Teilen dieser Gruppe (alle auf einmal sind einfach zu viel) verbringe ich auch regelmäßig meine Freizeit. Wir haben schon gemeinsame Unternehmungen und Ausflüge gemacht, im Garten gegrillt, zu Hause gekocht, den letzten, noch gar nicht lange zurückliegenden Jahreswechsel gemeinsam gefeiert. Hochinteressant sind die Gespräche, die sich dabei ergeben – z.B. über die aktuelle Weltpolitik, den Islam, IS, Terror, Weltanschauungen, Moral- und Wertvorstellungen, deren Sicht auf Deutschland und ihre Herkunftsländer usw.
Wenn ihr denkt, ich bediene jetzt die üblichen Vorurteile über fünf Mal am Tag beten, strikte Alkoholkarenz, Gewaltbereitschaft und Frauenverachtung, dann täuscht ihr euch gewaltig – meine diesbezüglichen Erfahrungen sind nämlich ganz andere, aber komplett und völlig andere!
3.) Ein schwer traumatisierter Flüchtling genießt bei uns praktisch Familienanschluss. Er wohnt zwar in seiner Unterkunft, übernachtet aber öfter hier und bleibt, wenn es ihm ganz schlecht geht, auch mal mehrere Tage bei uns. Selbstverständlich kenne ich auch seine Geschichte im Detail, bin bei jeder Therapiesitzung dabei etc.
Ich würde also mal behaupten, ich habe recht vielschichtige Erfahrungen mit Menschen aus aller Herren Länder und mit unterschiedlichsten kulturellen und persönlichen Hintergründen. Außerdem habe ich etliche Jahre in einem völlig anderen Kulturkreis gelebt, was meine Weltanschauung und meine Überzeugungen sehr geprägt hat.
Positive Erfahrungen:
Alle, ausnahmslos alle Flüchtlinge, mit denen ich bisher persönlich zu tun hatte, sind mir mit Achtung, Respekt, Freundlichkeit, ausgesprochener Höflichkeit und vor allem mit größter Dankbarkeit begegnet. Kein einziger hat mich je dumm angemacht oder gar angefasst, kein einziger hat sich je meiner ärztlichen Untersuchung oder Behandlung verweigert. (Und was dieses dämliche Händeschütteln angeht: das wird in vielen, vielen Ländern und Kulturen dieser Erde aus verschiedensten Gründen nicht gemacht, die meisten davon sind nicht muslimisch, und ich finde das völlig in Ordnung! Auch ich gebe ehrlich gesagt ungern die Hand.)
Ich fühle mich also in keinster Weise degradiert, im Gegenteil – ich werde oft von meinen Flüchtlingen um Rat gefragt, und was ich sage, das zählt. Mein Wort gilt, auch wenn es mal Grund gibt, laut zu werden: Ich habe eine Gruppe meiner Schäfchen einmal zusammengefaltet, weil sie den an sich lang herbeigesehnten und von mir organisierten Deutschkurs nach der dritten Stunde geschwänzt haben – man stelle sich vor: eine deutsche Frau schimpft mit einer Gruppe von muslimischen Männern! Kein einziger hat Widerworte gegeben, im Gegenteil, sie haben sich entschuldigt, sind vortan pünktlich zum Unterricht erschienen und haben seit dem noch größere Achtung vor mir.
Einige Zitate, von verschiedenen Flüchtlingen zu verschiedenen Anlässen zu mir gesagt, möchte ich wörtlich wiedergegeben (lediglich übersetzt):
„Ich mache nur, was zu sagst. Egal was, zuerst frage ich dich! Du bist klug und weise, ich weiß dass das, was du mir rätst, gut für mich ist.“
„Es ist das erste Mal seit Griechenland, dass ich so jemand treffe wie Sie...“
„Sie sind meine Schwester. Sie sind eine von uns. Wirklich, ich fühle es, Sie sind meine Schwester, Sie gehören zu uns. Tausend Dank...!“
„Mir ist in Europa noch nie jemand wie Sie begegnet.“
„Natürlich habe ich Probleme, große Probleme. Aber ich bin doch nur ein Flüchtling... Danke, dass Sie mir helfen. Ich weiß nicht, was hier alleine aus mir werden würde.“
„Wenn du nicht wärst, wäre ich schon längst zum rauchenden, kiffenden, Alkoholiker geworden...“
„Kalt sind die Menschen in Deutschland. Die Leute hier denken nur ans Geld. Sie sehen nichts um sich herum. Vor allem sehen sie in uns Flüchtlingen keine Menschen.“
„Bitte, bitte, lass' mich nicht allein! Ich hab' doch hier niemanden... Du bist doch der einzige Mensch, den ich hier habe...!“
„Ich habe einen neuen Zimmergenossen bekommen. Stell' dir mal vor – der betet sogar fünf Mal am Tag!“ [Alle Muslime, die ich kenne, haben zu ihrer Religion ungefähr das selbe Verhältnis, das deutsche „Christen“ zu ihrem Glauben haben, die maximal an Heiligabend in die Kirche gehen.]
„Was ist das für eine Welt, in der man Gewalt offen zeigen kann, aber Liebe verstecken muss?“
„Bei dir hier [gemeint ist meine Wohnung, mein Garten] fühle ich mich frei und sicher und kann mal für ein paar Stunden vergessen...“
„Es gibt so viele Dinge, die Frauen missachten. Aber eine Frau ist doch kein Stück Fleisch! Eine Frau zu respektieren hat oberste Priorität!“ [Ja, auch das stammt von einem Muslim!]
(Im Übrigen gibt es vieles, was im Koran steht und die Frau hoch achtet.)
Aber auch über meine negativen Erfahrungen möchte ich natürlich berichten:
Die Reifen meines Autos waren schon mehrfach zerstochen, als ich aus meiner Praxis im Flüchtlingsheim kam, im Lack waren Hakenkreuze; wie oft ich von Deutschen angepöbelt wurde, habe ich nicht mitgezählt (von Ausländern noch kein einziges Mal). Ermittlungen wurden stets ergebnislos eingestellt. Ich achte peinlichst darauf, dass niemand man meine Adresse erfährt.
Meinem Sohn sage ich, er soll in der Schule nichts davon erzählen, dass wir Flüchtlingen helfen. Er soll niemandem sagen, dass wir gemeinsame Ausflüge machen, grillen, feiern oder manchmal jemand bei uns übernachtet. Um ihn zu schützen, er würde sonst gemobbt und angegriffen. In was für einer Gesellschaft leben wir eigentlich, in der ich mein Kind vor meinen eigenen gelebten Idealen schützen muss? Vor allem: in jüngster Geschichte hatten wir es in Deutschland schon mehrfach, dass man sich gut überlegen musste, in wessen Hörweite man was sagt, das kenne ich aus eigener Erfahrung nur zu gut! Auch meine Mutter hat mir eingebläut, was ich auf keinen Fall in der Schule erzählen darf...
Von vielen Bekannten und sog. „Freunden“ werde ich nicht mehr gegrüßt, sondern gemieden, verachtet und gehasst. Respektierung und Achtung (der Frau)??? Dass ich nicht lache! Ich werde von niemandem mehr geachtet und respektiert wie von Flüchtlingen, und von niemandem so sehr missachtet und angefeindet wie von Deutschen!
Ein paar Schlussbemerkungen:
Wer Respekt von anderen fordert, sollte ihnen ebenso respektvoll begegnen. Wer gegenüber Flüchtlingen und deren Helfern hetzt und pöbelt, verhält sich sehr respektlos.
Wer Integration fordert, sollte wissen, dass es unmöglich ist, irgendwo dazuzugehören, wenn man einen nicht dazugehören lässt. Integration muss IMMER von beiden Seiten ausgehen und gelingt nur durch persönlichen Kontakt.
Es schadet nie, über den eigenen Tellerrand zu schauen, Vorurteile abzulegen und sich selbst ein Stück weit anzupassen. Ich trage keinen Minirock, hautenge Hosen oder schulterfreies Top, wenn ich mit meinen Flüchtlingen zu tun habe. Das hat absolut nichts mit Einschränkung meiner persönlichen Freiheit zu tun, sondern mit Respekt den Fremden und ihrer Kultur gegenüber!
Die letzten sieben Monate waren eine extreme Bereicherung für mein persönliches Leben. Ich möchte sie nicht missen.
Wer über ähnlich vielschichtige persönliche Erfahrungen mit diesem Thema verfügt, ist gerne eingeladen, mit mir sachlich und auf Augenhöhe darüber zu diskutieren. Aber bitte - keine Lobhudelei, darauf kann ich genauso gut verzichten wie auf Polemik und Hetze.
Danke!
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