So, ich bin zu Hause angekommen, dann kann ich euch ja - quasi als Gutenachtgeschichte - mal das Erlebnis mit dem Höhlentroll erzählen. Die Grenze zwischen Phantasie und Wahrheit müßt ihr selber finden.
Also, es ist kurz nach Weihnachten, ich glaube, am 28. oder 29.12. Wir - also mein Vater, Bruder, Schwägerin, Nichte, Neffe und ich sind bei unserer Tante und unserem Onkel in Witten zum Kaffeetrinken eingeladen. Trocken ist's aber ein eisiger Wind pfeifft über uns hinweg. Damit sich der Weg nach Witten lohnt, wollen wir vorher einen Besuch in der Zeche Nachtigall machen. Irgendwie muß man ja auch die Kinder bei Laune halten. Wir erreichen die Zeche Nachtigall - und es ist alles zu. Gitter zu, Hof abgeschlossen und ein großes Schild, wann sie im nächsten Jahr wieder Führungen hätten. Wieso konnte diese Info nicht auch im Internet stehen?
Für einen Besuch bei den Verwandten sind wir viel zu früh. Besonders mein Bruder und ich wollen dann gerne mal wieder ins Muttental schauen, immerhin sind wir da beide zu unseren Kindertagen häufig rumgestromert. Die Kinder sind nicht so begeistert, aber sie werden überstimmt und müssen mit. Bald schmollt der Neffe und trödelt immer 100m hinter allen her. Wir anderen betrachten die Reste des Bergbaus, die Nichte ließt begeistert alle Schilder über den Bergbau. Am Bethaus vorbei führt der Weg, und an einem alten Meilerplatz, irgendwo steht eine Lore in der Gegend. Die Lore steht auf einem Rest Schiene, die Schiene führt in den Berg. Wir schauen uns das Ganze an und sind überrascht - kein Gitter verschließt den Berg, man kann hineingehen. Bei den Kindern erwacht der Forscherdrang, natürlich wollen sie den Berg erkunden. Wir gehen vorsichtig in den alten Stollen hinein, nur mein Vater bleibt draußen, sein Bein will wohl nicht so, wie er will. Mein Bruder zaubert eine Taschenlampe aus seinem Rucksack, den er immer mit sich rumschleppt. Vom Licht des Eingangs ist bald nichts mehr zu sehen und ich überlege, ob das eine gute Idee ist, weiterzugehen.
Platsch - meine Nicht tappt in Wasser. Im Lichtschein der Taschenpampe sehen wir eine Pfütze, und darin bewegt sich etwas. Bestimmt ein Amphibium. Mein Bruder bestimmt das Vieh als Grottenolm und beginnt zu dozieren. Ich wundere mich. Das Tier hat doch Schuppen? Sieht aus, wie ein entlaufener Gecko. Aber gegen den brüderlichen Redeschwall ist nichts zu machen, bis meine Schwägerin ihm kurzerhand die Taschenlampe wegnimmt und in den nächsten Gang hineinleuchtet. Es glitzert. Ob wir an eine Tropfsteinhöhle kommen? Also gehen wir vorsichtig weiter, biegen noch mal ab - und stehen vor einer massiven Felswand. Also zurück das Ganze, doch wo war nun die Grottenolmpfütze? Ist der Rückweg nicht schon deutlich länger als der Hinweg? Ich verliere jedes Zeit- und Richtungsgefühlt. Wir müssen irgendwo falsch abgebogen sein. Die Nichte läuft schon längst nur noch an Mamas Hand, ihr ist gründlich mulmig. Da hören wir ein ganz seltsames Geräusch. Laut, fast brüllend aber auch so, als fielen Steine irgendwo. Mir schießt gerade der Gedanke durch den Kopf, ob da nicht der Gang irgendwo einstürzt, als sich eine Hand in meine schiebt. Die Hand gehört meinem Neffen, und er sagt noch mit zitternder Stimme: "Das klingt nach einem Höhlentroll." Au wei, wo sind wir hier gelandet? Bewegt sich da vorne nicht der Gang? Wir halten uns an den Händen, um uns wenigstens nicht gegenseitig zu verlieren. Mein Bruder geht vorne, er ist sich mit der Richtung sicher, sagt er. Aber ich kenne ihn zu gut, so ganz glaubt er selber nicht, was er sagt. Wir gehen weiter, weg von dem Geräusch, gefühlt eine halbe Stunde lang.
Da, wieder ein Laut, aber eher, wie Rufen. Von rechts sehen wir einen kleinen Fleck - Tageslicht! Erleichtert gehen wir darauf zu. Es ist tatsächlich der Stolleneingang, durch den wir hinein gelaufen sind. Und vor dem Eingang stehen drei Männer.
Mein Vater war, als wir so gar nicht aus dem Berg wieder herauskamen und auch auf Rufe nicht reagierten, zu unseren Verwandten gelaufen. Der Onkel hatte gleich den Nachbarn alarmiert, einen alten Bergmann, der zu anderen Zeiten Führungen im Besucherbergwerk macht. Dieser ist auch sofort mit seiner alten Grubenlampe mitgekommen, und die drei wollten gerade vorsichtig uns folgen, als sie unsere Schritte gehört hatten. Wir erzählten von dem seltsamen Geräusch, da bekam der alte Bergmann einen merkwürdigen Ausdruck in sein Gesicht. Nein, erklären könne er das auch nicht, aber es sei schon anderen Leuten seltsames in diesen Stollen begegnet. Auch, was mit dem Gitter passiert sei, das doch sonst den Eingang verschlösse, wisse er nicht. Er selber würde, gerade in den Rauhnächten, keinen Berg betreten, man wüßte schließlich nie...
Mein Onkel geht dazwischen. "Nu mach ihnen nicht noch mehr Angst, die gehen bestimmt auch so nie wieder allein in einen Berg. Außerdem wartet die Tante mit Kaffee und Kuchen auf uns." Wir laufen zum Haus unserer Verwandten. Dort werden wir wieder warm und so langsam kommt uns unser Erlebnis im Berg immer irrealer vor. Festzuhalten ist auf jeden Fall, daß meine Tante die weltbesten Donauwellen bäckt - und das ist nicht erfunden.