Rosenblüten sterben in der Nacht
So wie dieser Tag könnten sie alle anfangen… es war nur ein leichter Wind zu spüren, die Sonne war noch hinter dem nahe gelegenen Wald verborgen, auf der Wiese stand das Damwild fast bis zum Bauch in den wandernden Nebelschwaden und die Vögel lieferten ein fantastisches Konzert.
Ich hatte gerade das Training mit meinem Pferd beendet, das schweißnasse Fell dampfte und Torkano wurde langsam unruhig, er hielt nicht viel davon die schöne Morgenstimmung zu genießen und es wurde auch Zeit, bis nach Hause waren es noch einige Kilometer.
Der Stall gehört zu dem Hof meiner Nachbarn und wird bei Bedarf von mir mit genutzt, als ich dort ankam fiel mir sofort das ungewöhnliche Treiben im Garten auf.
Fast die gesamte Familie war versammelt und während ich Torkano vom Sattelzeug befreite blieb mir nichts anderes übrig als mir die nicht gerade im Flüsterton geführte Debatte anzuhören… es ging um Rosenblüten.
Allerdings nicht um irgendwelche, nein es ging um ganz Besondere, nämlich die ersten zwei Rosenblüten dieses Sommers und auch wenn man es kaum glauben mag, sie waren spurlos verschwunden.
Torkano fing zufrieden an zu grasen und auf dem Weg zu einer Dusche (die war nach so einem Buschtraining sicher nicht verkehrt) musste ich durch Nachbars Garten, aber ich kam nicht einmal in die Nähe von Dusche oder Kaffee, schon wurde ich zum Tatort zitiert.
Nachdem ich mir die ganze Geschichte noch einmal anhören musste folgte eine eingehende Inspektion der Pflanzen und es war einfach unglaublich, es sah so aus, als hätte jemand die Blüten abgeschnitten.
Na schön, es war in der vergangenen Nacht passiert, ohne dass der Täter daran gedacht hatte brauchbare Spuren zu hinterlassen… wer konnte nur so ein Verbrechen begehen.
Der damals dreijährige Hoferbe fragte was denn jetzt mit den Blüten geschehen würde und seine Oma erklärte lang und breit, das in tiefdunkler Nacht abgeschnittene Blüten sterben müssen.
Rosenblüten sterben also nachts…
Natürlich würde es mehr Blüten geben, den ganzen Sommer lang, aber so wie sie aufblühten verschwanden sie auch wieder und das reizte meine Nachbarn zum Überwachungsdienst mit Wechselschicht. So lange der Sicherheitsdienst die Nacht im Garten verbrachte blieb der gemeine Verbrecher den Rosen fern und so gab man nach vier Nächten auf, aber das sollte sich als fataler Fehler heraus stellen.
Ich schaute gerade nachdenklich eins meiner Kaninchen an, die junge Dame hatte ihr Futter kaum angerührt, selbst die Möhre hatte sie liegen lassen und das war mehr als ungewöhnlich, irgendwas war mit dem Tier. Und während ich noch überlegte was ich mit ihr tun sollte kam meine Nachbarin und erzählte ganz aufgeregt, dass in der letzten Nacht fast alle Rosenblüten verschwunden waren… und das waren doch recht viele.
Rosenblüten sterben nachts… an diese Worte sollte ich noch öfter erinnert werden, das unerklärliche Verschwinden der Blüten nahm kein Ende – und dann waren es plötzlich nicht mehr nur die Rosen, auch die Petersilie musste zu den Opfern gezählt werden, sie sah erbärmlich „frisiert“ aus.
Allerdings kam langsam neuer Wind in die Ermittlungsarbeiten, der alte Bauer war überzeugt den Täter gesehen zu haben. Er sei relativ klein und ziemlich hell, wenn nicht sogar weiß, aber es sei undenkbar ihn zu ergreifen weil er sich sehr schnell bewegte und zeitweise unsichtbar machen konnte.
Die Familie kam zu dem Schluss, dass der Alte bestenfalls einen Geist gesehen haben könnte der seinen Ursprung in irgendeiner Schnapsflasche haben musste und überhaupt, wie sollte denn ein Geist Rosenblüten abschneiden und warum? Ganz zu schweigen von der Petersilie und im Dorf war man sich einig darüber, dass Geister keine Petersilie essen.
Mein Kaninchen nahm inzwischen gar kein Futter mehr an und das machte mir ernsthaft Sorgen, aber sie zeigte nichts was auf eine Erkrankung hinweisen könnte und auch ihr Nachwuchs war in guter Verfassung. Die sechs Zwerge waren knapp drei Wochen alt und spielten übermütig und ausgelassen, das würden sie keinesfalls tun wenn etwas nicht in Ordnung wäre.
Trotzdem konnte es so nicht weiter gehen, ich überdachte noch mal den Futterplan und was ich daran vielleicht verbessern könnte, denn ganz offensichtlich war die Kaninchendame mit dem Angebot nicht einverstanden.
In Nachbars Garten spitzte sich die Lage zu, immer mehr Pflanzen waren unter den Opfern, Rosenblüten verschwanden, die Petersilie hatte kaum noch eine Chance zu wachsen, Stiefmütterchen, Dahlienblüten, Basilikum, die Schäden nahmen immer größere Ausmaße an und wie es in solchen Fällen üblich ist kursierten schon bald die wildesten „Geistergeschichten“ im Dorf. Erst war es nur ein kleiner Geist, dann ein Großer, später wurden es immer mehr Geister und alle waren schnell und manchmal unsichtbar... Rosenblüten sterben nachts…
In den folgenden Tagen wurde es mit meinem Kaninchen nicht besser, was ich ihr auch vorsetzte, sie wollte kein Futter annehmen und auch ihr Nachwuchs hatte scheinbar immer weniger Interesse daran.
Dann kam einer dieser Tage, die man am liebsten aus dem Kalender streichen würde. Das Training lief nicht wie es sollte, Torkano bestand darauf die Funktion der Erdanziehungskraft zu überprüfen (was ihm nach einigen gewagten Bocksprüngen auch gelang) und nach einer gemeinsamen, etwas unsanften Landung in der Botanik machten wir sicher keinen Eindruck mehr, der einem ruhigen Sonntagmorgen angemessen war. Das Pferd hatte einige Schrammen, das Sattelzeug war zum Teil zerrissen und meine angebrochenen Rippen machten den Weg zum Stall auch nicht zu einem entspannten Vergnügen, aber es sollte noch schlimmer kommen… oder doch nicht?
Ein Blick auf die Kaninchen brachte mich spontan auf andere Gedanken. Da saßen sie alle aneinander gekuschelt, rund um ihre hellen Schnauzen sah das Fell rot verschmiert aus, das Futter hatten sie nicht angerührt. Vergessen war der Sturz mit Torkano, ich nahm mir ein Kaninchen nach dem anderen vor und unterzog sie einer genauen Untersuchung. Der alte Bauer stand daneben, erzählte mir was von Geistern, Rosenblüten, Tomaten… ich hörte gar nicht so genau hin, meine Tiere waren mir wichtiger als verschwundene Tomaten.
Allerdings konnte ich keine Verletzungen erkennen, die Zähne waren auch in Ordnung, nur von den feuchten, rötlichen Verfärbungen im Fell ging ein leichter Geruch aus, den ich so nicht mit Kaninchen in Verbindung bringen konnte. Die Tiere waren auch weder abgespannt noch hatten sie Gewicht verloren, irgendwas passte da nicht zusammen.
Spät abends ging ich noch mal raus um nach ihnen zu schauen und staunte nicht schlecht, der Kaninchenstall war verschlossen, aber seine Bewohner waren verschwunden.
Mit leichtem Unbehagen dachte ich an die Verbrechen in Nachbars Garten und den unbekannten Täter, bisher hatte ich keine Verluste zu beklagen, aber wo waren meine Kaninchen? Hatte der Geist inzwischen die Petersilie satt und wollte doch mal etwas anderes… nein, daran wollte ich denn doch nicht denken.
Nach einer Nacht, in der ich wegen meiner Rippen und den verschwundenen Kaninchen nicht so recht zum schlafen gekommen war, stand ich früh morgens wieder vor dem Kaninchenstall... und sah zu, wie ein Kaninchen nach dem anderen durch ein loses Brett an der Rückwand in den Stall krabbelte. Als alle Jungtiere wieder da waren wo sie hin gehörten zog ihre Mutter das Brett mit den Zähnen an die richtige Stelle und wie sahen sie nur aus. Schmutzige Pfoten, rötliche Flecken wie am Vortag, dazu welche die fast nach Rotwein aussahen.
Der aufgebrachten Unterhaltung in Nachbars Garten konnte ich entnehmen, dass erneut Tomaten und Rote Bete verschwunden waren, aber das machte mir jetzt keine Sorgen mehr.
Ein großer und sechs kleine „Geister“ saßen satt und zufrieden in ihrem Stall... Rosenblüten sterben nachts.
Gruß Conya