Auch das kommt vor...
Es ist Mitte Oktober und zu meiner Zufriedenheit hat der Wettergott nicht vergessen dass ich einen langen, milden Herbst bestellt habe. Allerdings war ich heute spät dran und der Tierarzt sollte noch kommen, es war schon dunkel und ich musste noch den Zaun bei den Pferden umstellen damit sie bis zum nächsten Tag genug zu fressen hatten. Das System mit dem verstellbaren Elektrozaun hat sich bewährt, man kann ihnen die Fläche zum grasen einteilen und so vermeiden, dass sie bei dem nassen Wetter zu viel Gras zertreten, der Nachteil ist das ständige umstellen, aber kontrollieren muss man die Strippen ja ohnehin.
Die Koppel ist ziemlich groß, bis zum Schiebezaun gut 500 Meter, aber dafür hat der Hund dann auch etwas Auslauf, manchmal kommen auch die Miezen mit.
Während ich also Richtung Zaun stolpere und natürlich wieder keine Taschenlampe dabei habe schnappte plötzlich etwas nach meinem linken Fuß, erwischte mich direkt am Gelenk und brachte mich unerwartet zügig in Kontakt mit der Grasnarbe.
Ich spürte am Fußgelenk einen stechenden Schmerz, schlug mit der Hand nach dem unsichtbaren Feind, traf ihn aber nicht, stattdessen merkte ich wie das Wasser vom Regennassen Boden durch den Stoff der Hose drang, unaufhaltsam und schön gleichmäßig.
Da saß ich nun und biss die Zähne zusammen, in meinem Fußgelenk machte sich ein Brennen bemerkbar welches bei der leisesten Bewegung von heftigen Stichen unterbrochen wurde und langsam dämmerte mir dass irgendetwas an dem Angriff doch recht seltsam war.
Mein Hund hatte mich nicht gewarnt und der Angreifer war nicht nur unsichtbar, ich konnte ihn auch nicht hören oder riechen.
Er machte sich auch nicht die Mühe mich erneut anzugehen oder sich wenigstens zu überzeugen dass ich erledigt war… ehrlich gesagt ärgerte mich das direkt ein wenig, immerhin musste ich nun auch noch die Erkenntnis verkraften dass ich nicht einmal eine lohnende Beute war.
Bei dem Versuch das Gewicht zu verlagern stützte ich mich am Boden ab, oder sagen wir besser, es war so geplant, aber da wo ich meine Hand hatte fühlte es sich nicht an wie Gras.
Ich tastete vorsichtig weiter, etwas feuchtes, klebriges, teilweise pelziges konnte ich fühlen und überlegte bereits ob ich vielleicht auf den Angreifer gefallen war… aber nein das war nicht möglich, dann hätte er mich von vorne angreifen müssen und so weit ich mich erinnerte war dem nicht so.
Mein Hundemädchen tauchte neben mir auf und begann interessiert um mich herum alles abzuschnuppern und als ich die andere Hand ausstreckte stieß ich erneut an etwas Haariges.
Was es auch immer war, ich berührte es ungefähr 50 cm über dem Boden, es hätte also der Hund sein können, aber es war nicht das vertraute warme Fell, es war pelzig, nass, kalt und bewegte sich nicht… kein Tier ist pelzig, kalt und bewegungslos, es sei denn es ist schon länger tot.
Ein seltsames Gefühl kroch mir langsam und genüsslich den Rücken hoch bis ins Genick wo es sich dann festsetzte und ich nahm umgehend die Dienste meines Vierbeiners in Anspruch, ich schickte den Hund los um Hilfe zu holen.
Sie machte sich auch sofort auf die Pfoten, das patsch, patsch, patsch wurde schnell leiser und ich suchte nach dem pelzigen Ding was ich zuletzt berührt hatte.
Ja genau, da war es wieder, ich tastete langsam weiter… Haare, dann was feuchtklebriges, dem folgte etwas kaltes, glattes, relativ lang und rundlich… oh verflucht, das konnte nur ein Bein sein.
Oh nein, nicht irgendein Bein, das Glatte war der blanke Röhrenknochen und es war ein großes Tier. Mir ging sofort durch den Kopf dass auf dieser Koppel auch nur große Pferde waren und da morgens noch alle fit waren grübelte ich wer von ihnen ins Jenseits umgesiedelt war und warum.
Was heißt überhaupt warum, die Genehmigung für eine solche Aktion hatte kein Pferd beantragt, Freitod ist bei diesen Tieren eher selten und es hätte sich vorher auch nicht so verletzen müssen.
Meine Gedanken wurden von dem bekannten patsch, patsch, patsch der Hundepfoten unterbrochen und als sie sich vor meiner Nase schüttelte kam ich in den fragwürdigen Genuss von einer äußerst gründlichen Schmodderbrühe-Sprühdusche. Ich drohte ihr umgehend mit einer Wanne voll Fischtennadelschaumbad wenn sie das nicht lassen würde und bevor ich mir weitere Konsequenzen ausdenken konnte hörte ich die Schritte eines Menschen.
Mein Hund hatte den Tierarzt angeschleppt welcher inzwischen am Stall eingetroffen war und jetzt den Suchscheinwerfer anknipste den er als Taschenlampe missbrauchte.
Er sah mich an, dann an mir vorbei, dann trafen sich unsere Blicke erneut und ich hörte ihn sagen „alle tausend Teufel, da haste aber Hunger gehabt.“
Im Licht des Scheinwerfers sah ich mich um und traute meinen Augen kaum, da lag ein stark ramponierter Damhirsch und ich saß genau daneben, hätte nicht viel gefehlt und ich wäre direkt… aber ich möchte hier nicht exakt beschreiben wo ich dann gesessen hätte.
Das Licht wanderte mein Bein entlang bis zum Fuß und dann begriff ich dass mich nichts gebissen hatte, vielmehr war ich im Geweih hängen geblieben und bei dem Sturz hatte sich ein abstehender Knochen in mein Fußgelenk gebohrt.
Wie schön dass der Tierarzt schon vor Ort war, der konnte zwar dem Hirsch nicht mehr helfen, aber mir.
Am Ende stellte sich heraus dass der Hirsch von Wölfen gerissen worden war und da noch ziemlich viel von ihrer Beute vorhanden war blieb er liegen, es gab keinen Grund ihnen ihr Futter wegzunehmen und mein Fußgelenk, ja doch, das wird auch wieder.
Vor einigen Jahren tauchte in den Wäldern meiner Umgebung ein Wolf auf und blieb nicht allein, es folgte eine Wölfin. Die beiden hatten inzwischen zwei Würfe, einmal drei und dieses Jahr sieben Welpen, ein weiteres Paar ist aufgetaucht und hatte Nachwuchs, ein Einzelgänger ist auch noch da.
Ganz genau wissen wir es nicht, aber inzwischen dürften hier wieder um die 24 Tiere unterwegs sein denen es prima geht. Man hört sie manchmal „singen“, sieht sie nur selten und allen wilden Geschichten zum trotz vermisst niemand in meinem Umfeld ein Huhn, Schaf, Rind oder gar eine Großmutter.
Gruß Conya