nun hatte ich endlich noch ein bissle Ruhe am PC und hab' mal nachgeschaut, wann denn und vorallem in welchem Zusammenhang der Offene Brief geschrieben wurde.... Das Ganze ist mittlerweile schon fast ein paar Monate her - es ging damals (Anfang Juni) um das Sparpaket der Bundesregierung. Und wenn ich es richtig nachgelesen habe, dann hat nicht Frau Merkel, sondern ihr Vize der Herr Westerwelle das Sparpaket mit den Worten verteidigt, man habe bisher "über die Verhältnisse gelebt".
Das mal zum Kontext.
Und nachdem der Stephan Ueberbach kein Politiker, sondern ein Journalist ist, kann man m.E. den Brief nicht als populistisch bezeichnen. Wenn man den Brief schon mit so einem Schlagwort versehen möchte, dann würde ich eher opportunistisch nehmen (oder ich dreh mein Fähnchen in den Wind *g). Wenn man es positiv ausdrücken möchte, dann sieht man den Herrn Ueberbach vermutlich als 'Sprachrohr' des normalen (einfachen) Bürgers.
Interessant ist für mich, wie sich bei mir Aussagen sehr unterschiedlich darstellen, je nachdem in welchem Kontext sie fallen. Ohne den Zusammenhang mit dem Sparpaket tönt die Aussage eines hohen Politikers (egal ob's jetzt Merkel oder Westerwelle war) "wir/ihr haben/habt über die Verhältnisse gelebt" schon echt krass. Vermutlich hat aber der Herr Westerwelle den Ausspruch getan "Deutschland hat über seine Verhältnisse gelebt." (->
da nachzulesen) - was ja im Zusammenhang mit rasant steigender Staatsverschuldung nicht sooo falsch ist. Ich denke mal der Journalist Ueberbach hat sich eigentlich über das Sparpaket an sich aufgeregt, ihm ging es vermutlich eher um die Frage der sozialen Ausgewogenheit - und da wiederum würde ich an vielen Punkten mit ihm ins gleiche Horn stoßen bzw. ich kann viele seiner Kritikpunkte nachvollziehen.
Ich möchte aber an dieser Stelle ganz allgemein zur Vorsicht raten. Jeder von uns guckt erst einmal zu seinen eigenen Augen raus. Da ist es oft sehr schwer andere Lebenssituationen ebenso gut zu erfassen. Bei den Abzügen vom Lohn gibt es ja nicht nur die mit einer Beitragsbemessungsgrenze versehenen Sozialversicherungen. Die Lohnsteuer wiederum kennt keine Beitragsbemessungsgrenze, nein ganz anders, sie steigt nicht nur linear, sondern progressiv an. Es gibt aber dennoch einen interessanten Punkt in der Lohnsteuerformel und das ist das Erreichen des maximalen Steuersatzes, der wird bei etwas über 50.000 € Jahreseinkommen erreicht (ich hab die Reichensteuer ab 250.000 EUR jetzt mal weggelassen).
So und an diesem Punkt möchte ich auch der Aussage entgegentreten, dass die Beitragsbemessungsgrenze in den letzten Jahren nicht oder zumindest nicht ausreichend angehoben wurde. Die Entwicklung der (Renten-) Beitragsbemessungsgrenze ging von 1.800 DM (1970), über 6.300 DM (1990) rauf auf 5.500 EUR (2010). Der steuerliche Eckpunkt (wann erreicht man den Spitzensteuersatz), der blieb aber über all die Jahre auf fast derselben Höhe [ca. 110.000 DM (1970), ca. 120.000 DM (1990), ca. 52.800 EUR (2010)]. So haben wir mittlerweile die Situation erreicht, dass einige Arbeitnehmer bereits 'spitzenmäßig' Steuern zahlen, aber auch noch den vollen Beitragssatz bei der Rentenversicherung und den maximalen Betrag bei der Krankenversicherung zahlen. Diese Arbeitnehmer nagen sicherlich nicht am Hungertuch. Es ist aber sehr frustrierend, wenn von einem Brutto-Einkommenszuwachs von 500 EUR nur 220 EUR netto übrigbleiben....
... ist alles ein bissle sehr komplex ...
Lieben Gruß
Orlaya