In der Straße, in der ich zuvor fast 12 Jahre lebte, konnte ich im Laufe der Zeit aus dem Fenster beobachten, wie die Nachbarn Schritt für Schritt die Vögel aus ihren Gärten verbannten:
Es handelt sich um die Werkssiedlung einer Textilfabrik aus der Jugendstilzeit, die historischen Häuser waren individuell mit zeitgenössischem Zierrat versehen und hatten von früher her alle zum Garten hin Anbauten für Ställe, Gartengeräteschuppen etc. und in den Gärten alten Baum- und Strauchbestand.
Es ging meist los mit der Dachdämmung, infolgedessen nicht nur der Dachabschluss geändert und abgedichtet wurde, sondern üblicherweise auch die wunderschönen hölzernen Ziergiebel mit viel Dachüberstand eliminiert wurden: Pech für Schwalben, Spatzen, Rotschwänzchen etc.
Danach wurden fast überall die schönen alten Sprossenfenster gegen neue Kunststofffenster ausgetauscht, dabei natürlich auch die früheren Hohlräume unter den Fensterbänken und Ziereinfassungen zugemörtelt: Spatzen, die dort in großer Zahl genistet haben, mussten fortan draußen bleiben.
Den Rest gab den Häusern und Vögeln die Neuverklinkerung mit Keramik-Riemchenklinkern, jede Haushälfte anders aber alle gleich hässlich. Dafür wurde der schöne und meist gut erhaltene Jugendstilstuck abgeschlagen, vor allem aber die hölzernen Ziervertäfelungen im OG- und Giebelbereich entfernt. Hier nisteten alle möglichen Vogelarten, ja es gab teilweise auch unschöne Spuren der Hinterlassenschaften an den Wänden, was aber die früheren Generationen 100 Jahre lang nicht gestört hat.
Bei den alten Nebengebäusen aus Holz wartete man offenbar auf den Startschuss, also den ersten Nachbarn, der es wagte, abzureißen und stattdessen eine Containergarage dort hinzusetzen, danach ging es erdrutschartig.
Parallel dazu machte sich in den alten Gärten die Mode breit, alles Gehölz regelmäßig bis auf Kniehöhe herunter zu schneiden und den ganzen Schnitt nicht mehr auf dem Haufen hinterm Schuppen liegen zu lassen (Igel könnten ja darunter überwintern, Vögel Nahrung finden), sondern alles zu häckseln, liegt ja voll im Ökotrend, vor allem abends, wenn man mal in Ruhe auf der Terrasse sitzen will und nebenan bis spät am Abend der Häcksler läuft.
Auch große, dichte Hecken wurden irgendwann unmodern, man setzt lieber auf soziale Kontrolle und schaut dem Nachbarn in den Garten, Vögel schauen bezüglich dieser ehemaligen Nistplätze jetzt in die Röhre.
Die Krone aber waren die Baumkronen, die irgendwann "störten", also z.B. die wertvolle Sonnenstrahlung abhielten oder noch schlimmer: Den SAT-Empfang beeinträchtigten. Ein paar Jahre lang erklang regelmäßig die Motorsäge in unserem Viertel, bis es fast nichts mehr zu fällen gab. Das Holz für die inzwischen angeschafften Kaminöfen wurde natürlich in der Garage gelagert, nicht mehr unterm Überdach am Holzschuppen, es könnte ja Mäuse dort nisten, igittigitt, und natürlich Vögel, egal, es gibt ja inzwischen schöne bunt lackierte "Vogelvillen", die man an die Haus- oder Garagenwand schraubt, gleich neben den Fledermauskästen (die sollen ja angeblich die Mücken wegfangen, von denen es in letzter Zeit viel mehr gibt).
Ich wohnte damals noch zur Miete und unsere Vermieterin, eine über 80-jährige Frau hatte noch überall ihre "Prüttelecken" im Garten, hatte noch den alten Holzschuppen mit Kaninchenställen, Bretterstapeln und eine Brombeerhecke. Wir hatten im Sommer, wenn der Pfirsichbaum Blätter und Früchte hatte, keinen guten SAT-Empfang, aber dafür immer reiche Ernte. Und ab und zu ein paar Vögel auf der Terrasse, zweimal nisteten Amseln auf unserem Balkon, immerhin.
Der einzig verbliebene richtig große Baum war eine mächtige und prächtige Lärche im Vorgarten unserer Nachbarin, die sich ebenfalls den ganzen "Optimierungen" an Haus und Garten versagte. Sie lag mit inzwischen mit fast der ganzen Straße im Clinch, weil die Leute sich darüber beschwerten, dass im Herbst, wenn die Lärche ihre Nadeln verliert, diese auch auf Straße und Gehweg liegen und von den Passanten, an deren Schuhsohlen sie haften bleiben sowie vom Wind in deren Häuser getragen werden!!! Schrecklich!!! Lärchennadeln auf dem guten Teppich!!! Sie bleiben nicht an dem Stolperfallen-Aufnehmerlappen auf den Eingangsstufen hängen!!! Da gibt's nur eins: Der Baum muss weg!!!
Tja, in dieser Lärche konnten wir aus dem Küchenfenster außer Spatzen, Amseln, Buch- und Grünfinken auch Stieglitze, Dompfaffen und sonstwelche Vögel beobachten, mich haben die paar Lärchennadeln, die den Weg in die Wohnung fanden, nie gestört. Keine Ahnung, ob der Baum jetzt endlich gefällt wurde, ich bin dann bald dort weggezogen, nachdem die Deutsche Bahn eine dichte und hohe Baum- und Strauchhecke, die den Bahndamm vom Wohngebiet abtrennte, gerodet hatte und damit nicht nur die letzten Vögel im Viertel vertrieb, sondern auch dafür sorgte, dass man die vorbeifahrenden Züge jetzt viel lauter hören kann. Bye, bye Speicker Höhe…