Jahreszeiten-Gedichte

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  • Ein milder Wintertag

    An jenes Waldes Enden,
    Wo still der Weiher liegt
    Und längs den Fichtenwänden
    Sich lind Gemurmel wiegt;

    Wo in der Sonnenhelle,
    So matt und kalt sie ist,
    Doch immerfort die Welle
    Das Ufer flimmernd küßt:

    Da weiß ich, schön zum Malen,
    Noch eine schmale Schlucht,
    Wo all die kleinen Strahlen
    Sich fangen in der Bucht.

    Ein trocken, windstill Eckchen
    Und so an Grüne reich,
    Daß auf dem ganzen Fleckchen
    Mich kränkt kein dürrer Zweig.

    Will ich den Mantel dichte
    Nun legen übers Moos,
    Mich lehnen an die Fichte
    Und dann auf meinen Schoß

    Gezweig′ und Kräuter breiten,
    So gut ich′s finden mag:
    Wer will mir′s übel deuten,
    Spiel ich den Sommertag?

    Will nicht die Grille hallen,
    So säuselt doch das Ried;
    Sind stumm die Nachtigallen,
    So sing′ ich selbst ein Lied.

    Und hat Natur zum Feste
    Nur wenig dargebracht:
    Die Luft ist stets die beste,
    Die man sich selber macht.

    Annette von Droste-Hülshoff
     
    Gerade wiedergefunden, von Erich Kästner:


    Frühling auf Vorschuss

    (Aus der Gebrauchsanleitung, wenn man die Natur vergessen hat.)

    Im Grünen ist’s noch gar nicht grün.
    Das Gras steht ungekämmt im Wald,
    als sei es tausend Jahre alt.
    Hier also, denkt man, sollen bald
    die Glockenblumen blüh‘n?

    Die Blätter sind im Dienst ergraut
    und rascheln dort und rascheln hier,
    als raschle Butterbrotpapier.
    Der Wind spielt über’m Wald Klavier,
    mal leise und mal laut.

    Doch wer das Leben kennt, der kennt’s.
    Und sicher wird’s in diesem Jahr
    so, wie’s in andern Jahren war.
    Im Walde sitzt ein Ehepaar
    und wartet auf den Lenz.

    Man soll die beiden drum nicht schelten,
    sie lieben die Natur
    und sitzen gern in Wald und Flur.
    Man kann’s ganz gut verstehen, nur:
    Sie werden sich erkälten!
     
  • Abseits

    Es ist so still; die Heide liegt
    Im warmen Mittagssonnenstrahle,
    Ein rosenroter Schimmer fliegt
    Um ihre alten Gräbermale;
    Die Kräuter blühn; der Heideduft
    Steigt in die blaue Sommerluft.

    Laufkäfer hasten durchs Gesträuch
    In ihren goldnen Panzerröckchen,
    Die Bienen hängen Zweig um Zweig
    Sich an der Edelheide Glöckchen,
    Die Vögel schwirren aus dem Kraut -
    Die Luft ist voller Lerchenlaut.

    Ein halbverfallen niedrig Haus
    Steht einsam hier und sonnbeschienen;
    Der Kätner lehnt zur Tür hinaus,
    Behaglich blinzelnd nach den Bienen;
    Sein Junge auf dem Stein davor
    Schnitzt Pfeifen sich aus Kälberrohr.

    Kaum zittert durch die Mittagsruh
    Ein Schlag der Dorfuhr, der entfernten;
    Dem Alten fällt die Wimper zu,
    Er träumt von seinen Honigernten.
    - Kein Klang der aufgeregten Zeit
    Drang noch in diese Einsamkeit.

    Theodor Storm
     
    Für alle, die gerade in der Kirschernte stecken:

    Lob der schwarzen Kirschen

    (Anna Louisa Karsch)


    Des Weinstocks Saftgewächse ward
    Von tausend Dichtern laut erhoben;
    Warum will denn nach Sängerart
    Kein Mensch die Kirsche loben?

    O die karfunkelfarbne Frucht
    In reifer Schönheit ward vor diesen
    Unfehlbar von der Frau versucht,
    Die Milton hat gepriesen.

    Kein Apfel reizet so den Gaum
    Und löschet so des Durstes Flammen;
    Er mag gleich vom Chineser-Baum
    In ächter Abkunft stammen.

    Der ausgekochte Kirschensaft
    Giebt aller Sommersuppen beste,
    Verleiht der Leber neue Kraft
    Und kühlt der Adern Äste;

    Und wem das schreckliche Verboth
    Des Arztes jeden Wein geraubet,
    Der misch ihn mit der Kirsche roth
    Dann ist er ihm erlaubet;

    Und wäre seine Lunge wund,
    Und seine ganze Brust durchgraben:
    So darf sich doch sein matter Mund
    Mit diesem Tranke laben.

    Wenn ich den goldenen Rheinstrandwein
    Und silbernen Champagner meide,
    Dann Freunde mischt mir Kirschblut drein
    Zur Aug- und Zungenweide:

    Dann werd' ich eben so verführt,
    Als Eva, die den Baum betrachtet,
    So schön gewachsen und geziert,
    Und nach der Frucht geschmachtet.

    Ich trink und rufe dreymal hoch!
    Ihr Dichter singt im Ernst und Scherze
    Zu oft die Rose, singet doch
    Einmal der Kirschen Schwärze!
     
  • Herbst


    Astern blühen schon im Garten;
    Schwächer trifft der Sonnenpfeil
    Blumen, die den Tod erwarten
    Durch des Frostes Henkerbeil.

    Brauner dunkelt längst die Heide,
    Blätter zittern durch die Luft.
    Und es liegen Wald und Weide
    Unbewegt in blauem Duft.

    Pfirsich an der Gartenmauer,
    Kranich auf der Winterflucht.
    Herbstes Freuden, Herbstes Trauer,
    Welke Rosen, reife Frucht.


    (Detlev von Liliencron)
     
    Der scheidende Sommer

    Das gelbe Laub erzittert,
    Es fallen die Blätter herab;
    Ach, alles was hold und lieblich,
    Verwelkt und sinkt ins Grab.
    Die Gipfel des Waldes umflimmert
    Ein schmerzlicher Sonnenschein;
    Das mögen die letzten Küsse
    des scheidenden Sommers sein.
    Mir ist, als müßt ich weinen
    Aus tiefstem Herzensgrund;
    Dies Bild erinnert mich wieder
    An unsere Abschiedsstund'.
    Ich mußte von dir scheiden,
    Und wußte, du stürbest bald;
    Ich war der scheidende Sommer,
    Du warst der sterbende Wald.

    Heinrich Heine
     
    Krähenwinter

    Über Luch und Rohr und Seen
    schickt der Winter Nebelkrähen,
    Schatten überm blanken Eise
    rudern sie im Winde leise.

    Licht der Erde, du wirst arm,
    landen sie im harten Schwarm,
    scharren sie im Schnee der Wege,
    liegt der Wind am Hügel träge.

    Schwarzes Laub, das flatternd schreit,
    säumen sie die Dunkelheit,
    flügeltief geduckt den Nacken,
    plumpt der Schnee vom Eichenzacken.

    Dorf der Armen, magre Kost,
    drahtig hängt das Netz im Frost.
    Dunst der Nacht verwischt die Schneisen,
    klagt ein Wild im Tellereisen.

    Peter Huchel
     
    Zuletzt bearbeitet:
  • Ende des Herbstes

    Ich sehe seit einer Zeit
    wie alles sich verwandelt.
    Etwas steht auf und handelt
    und tötet und tut Leid.

    Von Mal zu Mal sind all
    die Gärten nicht dieselben;
    von den gilbenden zu der gelben
    langsamem Verfall:
    wie war der Weg mir weit.

    Jetzt bin ich bei den leeren
    und schaue durch alle Alleen.
    Fast bis zu den fernen Meeren
    kann ich den ernsten schweren
    verwehrenden Himmel sehn

    Rainer Maria Rilke
     
  • @Rosabelverde Nein, hat er nicht! Ich besitze das Gedicht in Papierform und habe diese Version hier nur schnell kopiert.
    Leider habe ich mich darauf verlassen, dass die Leute, die es in das www gestellt haben, wenigstens richtig abschreiben können. Scheint's aber nicht ...
    Dankeschön, ich habe es berichtigt.

    Ha! Das war noch nicht mal alles ... :eek:
     
    Aha, auch der Schnee plumt jetzt nicht mehr ...

    Über falsch abgeschriebene Gedichte im Internet hab ich mich schon manchmal geä gewundert ... :unsure: Wohl dem, der noch Bücher hat. ;)
     
    (Das Wort Winter kommt zwar nicht vor, aber es schneit. Vermutlich in Wien.)


    h.c. artmann

    heit bin e ned munta wuan​





    heit bin e ned munta wuan
    wäu ma r unsa bendlua
    schdeeblim is..
    heit bin e ned munta wuan
    und i schlof
    und i schlof
    und i schlof
    und draust da schnee foed ima mea
    und de drossln dafrian und de finkn
    und de aumschln und d daum aufm doch..
    und dea schnee foed ima mea
    und ea drad se
    und drad se
    wia r a fareisz ringlgschbüü
    und kumd ma bein fenzta r eine
    mocht ma r en bagetbon gaunz weiss fua mein bet
    wiad hecha r und hecha fua mein bet
    und schdet do und schaud me au
    wia r a engl med ana koedn haund..
    und i schlof
    und i schlof
    und i schlof..
    heit bin e ned munta wuan
    de bendlua schded no ima
    und dea schneeane engl schdet doo
    und schaut me au wia r e so ausgschdregta doolig
    und mei schlof is scho soo diaf
    das ma glaaweis und launxaum
    winzege schdeandaln aus eis
    en de aungbram
    zun woxn aufaungan...
     
    März

    Zu Ende geht ein weicher Tag,
    Und vor der letzten Sonne liegt
    Die große dicke Wolke fest,
    Als hätte sie sich eingewiegt.

    Es zeigt der Halm der Wintersaat
    Das erste dunkle, satte Grün,
    Aus nackter Gartenerde bricht
    Das erste bunte Krokusblühn.

    Ich bin im Feld der Wintersaat,
    Und schreite meine stille Bahn,
    Wer steuert da den Weg entlang,
    Mit weißem Schürzchen vorgethan.

    Ei doch, das Mädel kenn' ich ja,
    Was läuft sie denn davon geschwind,
    Und um die ganze Wintersaat,
    Halt doch, zum Kuckuck, halt doch, Kind,

    Wie, zögert sie, was thut sie nun,
    Sie steht, und dreht sich um zu mir,
    Und die zehn Finger ausgespannt,
    Winkt sie mich hastig hin zu ihr.

    Ich wie nichts Guts bin bei ihr schon,
    Sag, Kleine, du bist wohl verrückt?
    Sie lächelt, abgewandt, verschämt,
    Und hat sich an mein Herz gedrückt.

    Ach so, weil hier uns keiner sieht -
    Zwei alte Krähen zogen nur,
    Der Abend war auch gar zu schön,
    Pianpiano durch die Frühlingsflur.


    Detlev von Liliencron . 1844 - 1909
     
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