WaA76
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Warum dieser Beitrag?
Es gibt im Internet und leider auch in der Literatur (sofern man deutschsprachige Gartenbücher für das breite Publikum überhaupt findet, wo der Autor über das normale „Samennehmen“ bei Tomaten hinausgeht) jede Menge Halbwissen und auch Unwissen darüber, wie man eine (alte) Tomatensorte auch als Hobbygärtner „richtig“ erhält. Ich habe in den letzten Monaten sehr viel Mühe darauf verwendet, mich durch Fachliteratur (auch englischsprachige) zu wühlen um endlich Klarheit über diesen Punkt zu bekommen. Gerade die Frage und eventuelle Problematik mit Inzuchtdepression haben mich sehr beschäftigt. Dabei bin ich auch auf allerlei Hintergrundwissen weit über die Tomate hinaus gestoßen.
Für alle, die ebenfalls neugierig sind verfasse ich diesen Beitrag. Ich hoffe, dass er allgemein verständlich und nicht zu lange ist. Auf das Entnehmen und Trocknen der Tomatensamen gehe ich nicht ein, dazu gibt es hier genügend sehr gute Beitrage. Sollte irgendetwas unklar sein, bitte einfach fragen!
Warum eine Tomatensorte erhalten?
Auf das Verschwinden der samenfester Sorten zugunsten von Hochleistungshybriden bei fast allen Gemüsen wird im Handbuch Samengärtnerei von Arche Noah genauer eingegangen. Ich finde es großartig wenn jeder Hobbytomatengärnter eine der alten samenfesten Sorten, die einem gut gefällt und schmeckt auch erhält. Das Netzwerken und Tauschen der Samen wie hier im Forum ist unser aller Beitrag gegen die Monopolisierung und Patentierung von Saatgut.
Die Erhaltung dieser alten Sorten darf nicht alleine bei den paar wenigen kleinenHobbysaatgutanbietern liegen. Deren Arbeit ist zwar hoch lobenswert, aufgrund der schier unüberschaubaren Anzahl an Sorten ein Kampf gegen Windmühlen. Ein Hobbysaatgutanbieter (meist kleine Ein-Personen-Unternehmen) der übers Internet 50, 100 oder noch mehr Sorten anbietet, kann diese aus Platz- und Zeitgründen oft nicht optimal betreuen oder auch vor Verkreuzung schützen.
Grundsätzlich ist es möglich, von einer Tomatensorte A eine Pflanze zu ziehen und aus einer der Früchte wieder Samen für das kommende Jahr zu nehmen. So kann man theoretisch bis zum Ende der Welt Tomaten jedes Jahr ziehen - ohne gravierende Nachteile.
Wie man es dennoch besser macht und dem ganzen zumindest einen Hauch von Professionalität verleiht, möchte ich hier beschreiben. Und vielleicht interessiert ja den einen oder anderen Hobbygärtner das nötige Hintergrundwissen.
Fremdbefruchter – Selbstbefruchter
Beim Gemüse gibt es Selbstbefruchter, Fremdbefruchter und eine Mischung aus beidem.
Reine Selbstbefruchter haben „perfekte Blüten“, also männliche und weibliche Geschlechtsorgane in einer Blüte vereint. Wenn der Pollen derselben Blüte auf die Narbe fällt, ist diese befruchtet und es entwickelt sich eine Frucht mit Samen. Beispiele: Bohnen, Erbsen, Tomaten, Salat.
Fremdbefruchtet können sich mit dem eigenen Pollen meist nicht bestäuben und benötigen eine zweite Pflanze. Beispiel Mais, Roggen; Kürbis.
Eine Mischung aus beidem kann sich selbst befruchten, bevorzugt aber Fremdbefruchtung. Beispiele sind Radieschen, Rote Rüben, Raps.
Inzuchtdepression
In der Natur ist normalerweise die Fremdbefruchtung üblich. Wenn eine Pflanze sich über mehrere Jahre mit sich selbst oder sehr nahen Verwanden bestäubt, wird sie reinerbig (homozygot), also einheitlich. Dadurch können Gene zum Tragen kommen, die defekt sind. Dies kann zum Ausbruch von Erbkrankheiten führen und allgemein zu Kümmerwuchs und schlechtem Ertrag. Man spricht hier von einer Inzuchtdepression.
Bei einigen unserer Kulturpflanzen wurden über die oft Jahrtausende dauernde Kultur alle defekten Gene aussortiert. Dadurch wurden aus den Fremdbefruchtern Selbstbefruchter. So auch bei der Tomate. Tomatenpflanzen leiden kaum bis gar nicht an Inzuchtdepression. Daher ist es möglich, Samen von nur einer einzigen Pflanze zu nehmen, die sich selbst befruchtet hat – ohne gravierende Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.
Wie viele Pflanzen?
Nun stellt man sich die Frage, warum man dann mehr als eine einzige Pflanze zur Samenernte verwenden sollte. Im Handbuch Samengärtnerei wird von mindestens 6 Pflanzen gesprochen. Erklärung wird keine geliefert.
Der Grund ist folgender: Die meisten alten Sorten sind nicht sonderlich einheitlich. Die Pflanzen tragen noch unterschiedliche Gene in sich, die auf den ersten Blick nicht sichtbar sind. Manche mögen an diesen Standort/Kulturbedingungen besser angepasst sein, andere an jene/n. Manche Pflanzen einer Sorte haben eventuell eine höhere Resistenz gegen Pilze als andere, andere werden dafür von Läusen bevorzugt. Dies ist insofern gut, dass dadurch die Sorten anders als Hybriden anpassungsfähig sind. Wenn ich immer nur von einer Pflanze Samen gewinne, erzeuge ich einen genetischen Flaschenhals und die Anpassungsfähigkeit geht verloren.
Ein weiterer Grund ist, dass bei nur einer Pflanze keine Selektion betrieben werden kann. Mal angenommen, ich ziehe nur eine einzige Pflanze einer Sorte und diese kümmert. Ersten kann ich es nicht beurteilen, da ich nur eine Pflanze habe – somit könnte die Sorte eben so kümmerlich sein wie diese. Zweitens nehme ich wieder Samen dieser kümmernden Pflanze. Und lese somit auf kümmerlichen Wuchs aus. Habe ich mehrere Pflanzen gezogen, ist die Chance, dass ein Prachtexemplar dabei ist, von dem ich Samen nehmen kann, doch wesentlich höher. Wenn ich also von mehreren gesunden, kräftigen Pflanzen Samen nehme, erhalte ich einen größeren Teil des Genpools der Sorte und selektiere auf die gewünschten Eigenschaften wie Gesundheit und Ertrag.
Arche Noah spricht von 6 Tomatenpflanzen, andere Literatur gibt einen Mindestbestand von 20 Pflanzen bei Selbstbefruchtern an. Das dies im Hobbygarten ein Ding der Unmöglichkeit ist, ist mir bewusst. Wer baut 20 Tomaten EINER Sorte an? Viele haben nicht mal den Platz, um überhaupt soviele Pflanzen unterzubringen. Es ist bei 6 Pflanzen schon sehr schwierig.
Ich empfehle daher folgendes Vorgehen: Tomatensamen sind ja relativ lange haltbar. Man kann mehrere Pflanzen anziehen (eventuell 10 Stück) und gleich hier radikal auslesen auf frühes Keimen und gesunder Wuchs. Am Ende beschränkt man sich auf 3 Pflanzen pro Jahr, welche man groß werden lässt und Samen nimmt. Im folgenden Jahr beginnt das Spiel von neuem, jedoch NICHT mit den selbstgewonnenen Samen aus den letzten Jahr sondern mit dem Originalsaatgut. Somit habe ich von 3 Planzen pro Jahr in zwei Jahren Samen gewonnen, was insgesamt ergibt, dass 6 Pflanzen gezogen wurden. Diese kann ich nun zusammemmischen und starte im dritten Jahr wieder von vorne. Wenn mir 3 Pflanzen pro Jahr noch immer zu viel sind, kann ich dies auch auf 2 Pflanzen pro Jahr und drei Jahre aufteilen. Außerdem bleibt so immer genügend Saatgut zum Tauschen.
Hybridsorten
Hybridsorten werden von der Saatgutindustrie immer als da Nonplusultra in Wüchsigkeit, Ertrag und Krankheitsresistenz angepriesen. Dies ist zum Teil wahr, liegt aber nicht immer daran, dass es sich um Hybriden handelt.
Zur genaueren Erklärung: bei der Hybridzüchtung werden aus den beiden Elternsorten Inzuchtlinien erstellt, so dass diese sehr einheitlich sind und oft auch bereits an Inzuchtdepression leiden. Durch das Kreuzen dieser beiden Inzuchtlinen entsteht das Hybridsaatgut. Dieses ist durch die „frischen“ Gene extrem wüchsig und in der 1. Generation (F1) sehr einheitlich. Man nennt dies den Heterosiseffekt. Dies ist das Gegenteil der Inzuchtdepression.
Nun gibt es aber bei Tomaten so gut wie keine Inzuchtdepression. Dies hat zur Folge, dass es auch keinen nennenswerten Heterosiseffekt gibt. Bei Selbstbefruchtern wie Tomaten, Bohnen, Weizen etc. ist der Mehrertrag durch die Hybridsierung (also einer F1-Sorte) ca. 10 % gegenüber einer samenfesten Sorte. Dies ist auch der Grund, warum es kaum Bohnen, Erbsen oder Salat Hybridsorten gibt. Eine Kreuzung ist bei diesen Pflanzen extrem aufwändig, bring wenig Samen pro Kreuzungsschritt hervor und hat nur eine geringe Ertragssteigerung zur Folge.
Bei strengen Fremdbefruchtern wie etwa Mais hingegen ist der Mehrertrag über 200 % gegenüber samenfesten Sorten. Bei Fremd- und Selbstbefruchtern wie etwa Raps lediglich bei 50 %.
Somit bringen Hybridtomaten dem Hobbygärtner keinen wirklichen Vorteil beim Ertrag. Warum machen sie sich im Garten dann doch oft besser als alte Sorten? Dies liegt an der guten züchterischen Betreuung. Hohe Anzahl an Pflanzen für eine strenge Selektion bei den Eltern und Einkreuzen von resistenten Sorten führen in diesem Fall zur Mehrleistung der Hybriden im Vergleich zu alten, oft sehr schlecht betreuten Sorten. Alte Sorten die jedoch professionell betreut und erhalten werden (wie etwa von Reinsaat) stehen den Hybriden im Hobbygarten um nichts nach.
Warum von der Saatgutindustrie trotzdem hauptsächlich Hybrid-Tomatensorten erzeugt werden? Eine Hybridisierung ist bei Tomaten sehr einfach und kostengünstig, die Sorten sind extrem einheitlich, man kann bei weitem höhere Saatgutpreise verlangen (und damit mehr verdienen) und der Kunde muss das Saatgut jedes Jahr neue kaufen.
Noch am Rande erwähnt sei, dass Saatgut von Hybriden zwar in der nächsten Generation aufspalten, bei Tomaten aber nicht unter den Folgen der vorhergehenden Inzucht der Eltern leiden. Somit wäre es theoretisch problemlos möglich, aus jeder F1-Hybridtomate wieder eine samenfeste Sorte zu züchten.
Verhütung
Im Handbuch Samengärtnerei von Arche Noah wird bei Tomaten keine spezielle Verhütung empfohlen. Es wird lediglich auf die Verkreuzungsgefahr hingewiesen, ein Sicherheitsabstand zwischen den Sorten ans Herz gelegt und angedacht, die Früchte für die Samenernte aus der Mitte des Bestands zu nehmen.
Ich empfehle trotzdem zu verhüten, wenn man eine Sorte professionell erhalten will. Dies hat einen einfachen Grund: Viele der alten und erhaltenswerten Sorten haben einen besonders langen Griffel, der aus der Blüte herausragt. Dadurch sind sie besonders empfänglich für Fremdbefruchtung. Vielleicht bin ich da auch etwas zu pedantisch, aber wenn ich mir die Arbeit mache, Samen zu nehmen und eine Sorte zu vermehren, möchte ich nahezu 100%ig sicher sein, dass diese nicht verkreuzt sind. Außerdem möchte ich auch eventuellen Tauschpartnern eine gewisse Sicherheit geben. Es gibt nicht unangenehmeres, wenn man Samen bekommt und am Ende stellt sich heraus, dass da was völlig anders rauskommt – was meist ärgerlich ist.
Bewährt haben sich meiner Meinung nach (und selbst ausgetestet) folgende Methoden:
a) a) Die „erste Blüte Indoor-Verhütung“: Dabei stehen die Pflanzen solange Indoor, bis die ersten drei, vier Blüten abgeblüht sind. Diese sind dann nahezu 100%ig sortenrein. Gelegentliches Schütteln nicht vergessen vorausgesetzt. Diese Methode empfiehlt sich aber nur, wenn man genügend Platz im Haus hat und eventuell Kunstlicht zur Verfügung steht. Eine Anzucht Anfang März sollte dabei genügen um die Pflanzen dann Mitte/Ende Mai mit den ersten Fruchtansätzen rauszustellen. Leider gibt es auch einige spätreifende Sorten (grade bei den Fleischtomaten), die erst spät Blüten bilden. Hier muss man auf Methode b) zurückgreifen.
b) b) Die „Teebeutelmethode“: Diese Methode ist bereits gut bekannt. Ich habe sie etwas abgewandelt. Man stülpt einen großen Teebeutel über die noch geschlossene Blütenrispe und verklebt diesen unten mit Klebeband (Tixo), so dass keine Insekten mehr eindringen können. Sobald die ersten zwei, drei Blüten abgeblüht sind, kann man den Teebeutel entfernen. Klebeband ist für das Verschließen der Teebeutel meiner Meinung nach besser geeignet als Wäscheklammern, da diese doch relativ schwer sind (und somit eventuell die Rispe abbrechen kann) und ein sicheres Verschließen ziemlich fummelig sein kann. Weiterer Vorteil: die Beutel sind „atumungsaktiv“ und durch die große Fläche werden sie im Wind auch gut durchgeschüttelt. Nach einer Woche kann man die meist wieder abnehmen. Bisher war mein Fruchtansatz unter den Beuteln immer sehr gut.
Die Latexmethode (hier mit die Blüte mit Windowcolour verschlossen) empfehle ich nicht, da die Blüten mit hoher Wahrscheinlichkeit abgeworfen werden. Latexfarbe ist aber nicht völlig sinnlos. Ich benutze sie, um die Stängel der verhüteten Früchte mit Farbe zu markieren, um bei der Ernte zu wissen, von welchen Früchten ich Samen nehmen muss. Dadurch erspart man sich das mühevolle markieren mit Bindfäden.
So, wenn ihr mit dem Lesen bis hierher durchgehalten habt, alle Achtung! Ich hoffe, dass bei dem ganzen Geschwafel doch das eine oder andere Interssante dabei war.
lg
Literatur:
Deppe, Carol; Breed Your Own Vegetable Variety - White River Junction: Chelsea Green Publishing 2001
Deppe, Carol; The Resilent Gardener – White River Junction: Chelsea Green Publishing 2010
Tychonievich, Joseph;Plant Breeding For The Home Gardener – Portland: Timerpress 2013
Miedaner, Thomas; Grundlagen der Pflanzenzüchtung – Frankfurt am Main: DLG-Verlags-Gmbh 2010
Heistinger, Andrea; Handbuch Samengärtnerei – Stuttgart: Eugen Ulmer KG 2003
Es gibt im Internet und leider auch in der Literatur (sofern man deutschsprachige Gartenbücher für das breite Publikum überhaupt findet, wo der Autor über das normale „Samennehmen“ bei Tomaten hinausgeht) jede Menge Halbwissen und auch Unwissen darüber, wie man eine (alte) Tomatensorte auch als Hobbygärtner „richtig“ erhält. Ich habe in den letzten Monaten sehr viel Mühe darauf verwendet, mich durch Fachliteratur (auch englischsprachige) zu wühlen um endlich Klarheit über diesen Punkt zu bekommen. Gerade die Frage und eventuelle Problematik mit Inzuchtdepression haben mich sehr beschäftigt. Dabei bin ich auch auf allerlei Hintergrundwissen weit über die Tomate hinaus gestoßen.
Für alle, die ebenfalls neugierig sind verfasse ich diesen Beitrag. Ich hoffe, dass er allgemein verständlich und nicht zu lange ist. Auf das Entnehmen und Trocknen der Tomatensamen gehe ich nicht ein, dazu gibt es hier genügend sehr gute Beitrage. Sollte irgendetwas unklar sein, bitte einfach fragen!
Warum eine Tomatensorte erhalten?
Auf das Verschwinden der samenfester Sorten zugunsten von Hochleistungshybriden bei fast allen Gemüsen wird im Handbuch Samengärtnerei von Arche Noah genauer eingegangen. Ich finde es großartig wenn jeder Hobbytomatengärnter eine der alten samenfesten Sorten, die einem gut gefällt und schmeckt auch erhält. Das Netzwerken und Tauschen der Samen wie hier im Forum ist unser aller Beitrag gegen die Monopolisierung und Patentierung von Saatgut.
Die Erhaltung dieser alten Sorten darf nicht alleine bei den paar wenigen kleinenHobbysaatgutanbietern liegen. Deren Arbeit ist zwar hoch lobenswert, aufgrund der schier unüberschaubaren Anzahl an Sorten ein Kampf gegen Windmühlen. Ein Hobbysaatgutanbieter (meist kleine Ein-Personen-Unternehmen) der übers Internet 50, 100 oder noch mehr Sorten anbietet, kann diese aus Platz- und Zeitgründen oft nicht optimal betreuen oder auch vor Verkreuzung schützen.
Grundsätzlich ist es möglich, von einer Tomatensorte A eine Pflanze zu ziehen und aus einer der Früchte wieder Samen für das kommende Jahr zu nehmen. So kann man theoretisch bis zum Ende der Welt Tomaten jedes Jahr ziehen - ohne gravierende Nachteile.
Wie man es dennoch besser macht und dem ganzen zumindest einen Hauch von Professionalität verleiht, möchte ich hier beschreiben. Und vielleicht interessiert ja den einen oder anderen Hobbygärtner das nötige Hintergrundwissen.
Fremdbefruchter – Selbstbefruchter
Beim Gemüse gibt es Selbstbefruchter, Fremdbefruchter und eine Mischung aus beidem.
Reine Selbstbefruchter haben „perfekte Blüten“, also männliche und weibliche Geschlechtsorgane in einer Blüte vereint. Wenn der Pollen derselben Blüte auf die Narbe fällt, ist diese befruchtet und es entwickelt sich eine Frucht mit Samen. Beispiele: Bohnen, Erbsen, Tomaten, Salat.
Fremdbefruchtet können sich mit dem eigenen Pollen meist nicht bestäuben und benötigen eine zweite Pflanze. Beispiel Mais, Roggen; Kürbis.
Eine Mischung aus beidem kann sich selbst befruchten, bevorzugt aber Fremdbefruchtung. Beispiele sind Radieschen, Rote Rüben, Raps.
Inzuchtdepression
In der Natur ist normalerweise die Fremdbefruchtung üblich. Wenn eine Pflanze sich über mehrere Jahre mit sich selbst oder sehr nahen Verwanden bestäubt, wird sie reinerbig (homozygot), also einheitlich. Dadurch können Gene zum Tragen kommen, die defekt sind. Dies kann zum Ausbruch von Erbkrankheiten führen und allgemein zu Kümmerwuchs und schlechtem Ertrag. Man spricht hier von einer Inzuchtdepression.
Bei einigen unserer Kulturpflanzen wurden über die oft Jahrtausende dauernde Kultur alle defekten Gene aussortiert. Dadurch wurden aus den Fremdbefruchtern Selbstbefruchter. So auch bei der Tomate. Tomatenpflanzen leiden kaum bis gar nicht an Inzuchtdepression. Daher ist es möglich, Samen von nur einer einzigen Pflanze zu nehmen, die sich selbst befruchtet hat – ohne gravierende Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.
Wie viele Pflanzen?
Nun stellt man sich die Frage, warum man dann mehr als eine einzige Pflanze zur Samenernte verwenden sollte. Im Handbuch Samengärtnerei wird von mindestens 6 Pflanzen gesprochen. Erklärung wird keine geliefert.
Der Grund ist folgender: Die meisten alten Sorten sind nicht sonderlich einheitlich. Die Pflanzen tragen noch unterschiedliche Gene in sich, die auf den ersten Blick nicht sichtbar sind. Manche mögen an diesen Standort/Kulturbedingungen besser angepasst sein, andere an jene/n. Manche Pflanzen einer Sorte haben eventuell eine höhere Resistenz gegen Pilze als andere, andere werden dafür von Läusen bevorzugt. Dies ist insofern gut, dass dadurch die Sorten anders als Hybriden anpassungsfähig sind. Wenn ich immer nur von einer Pflanze Samen gewinne, erzeuge ich einen genetischen Flaschenhals und die Anpassungsfähigkeit geht verloren.
Ein weiterer Grund ist, dass bei nur einer Pflanze keine Selektion betrieben werden kann. Mal angenommen, ich ziehe nur eine einzige Pflanze einer Sorte und diese kümmert. Ersten kann ich es nicht beurteilen, da ich nur eine Pflanze habe – somit könnte die Sorte eben so kümmerlich sein wie diese. Zweitens nehme ich wieder Samen dieser kümmernden Pflanze. Und lese somit auf kümmerlichen Wuchs aus. Habe ich mehrere Pflanzen gezogen, ist die Chance, dass ein Prachtexemplar dabei ist, von dem ich Samen nehmen kann, doch wesentlich höher. Wenn ich also von mehreren gesunden, kräftigen Pflanzen Samen nehme, erhalte ich einen größeren Teil des Genpools der Sorte und selektiere auf die gewünschten Eigenschaften wie Gesundheit und Ertrag.
Arche Noah spricht von 6 Tomatenpflanzen, andere Literatur gibt einen Mindestbestand von 20 Pflanzen bei Selbstbefruchtern an. Das dies im Hobbygarten ein Ding der Unmöglichkeit ist, ist mir bewusst. Wer baut 20 Tomaten EINER Sorte an? Viele haben nicht mal den Platz, um überhaupt soviele Pflanzen unterzubringen. Es ist bei 6 Pflanzen schon sehr schwierig.
Ich empfehle daher folgendes Vorgehen: Tomatensamen sind ja relativ lange haltbar. Man kann mehrere Pflanzen anziehen (eventuell 10 Stück) und gleich hier radikal auslesen auf frühes Keimen und gesunder Wuchs. Am Ende beschränkt man sich auf 3 Pflanzen pro Jahr, welche man groß werden lässt und Samen nimmt. Im folgenden Jahr beginnt das Spiel von neuem, jedoch NICHT mit den selbstgewonnenen Samen aus den letzten Jahr sondern mit dem Originalsaatgut. Somit habe ich von 3 Planzen pro Jahr in zwei Jahren Samen gewonnen, was insgesamt ergibt, dass 6 Pflanzen gezogen wurden. Diese kann ich nun zusammemmischen und starte im dritten Jahr wieder von vorne. Wenn mir 3 Pflanzen pro Jahr noch immer zu viel sind, kann ich dies auch auf 2 Pflanzen pro Jahr und drei Jahre aufteilen. Außerdem bleibt so immer genügend Saatgut zum Tauschen.
Hybridsorten
Hybridsorten werden von der Saatgutindustrie immer als da Nonplusultra in Wüchsigkeit, Ertrag und Krankheitsresistenz angepriesen. Dies ist zum Teil wahr, liegt aber nicht immer daran, dass es sich um Hybriden handelt.
Zur genaueren Erklärung: bei der Hybridzüchtung werden aus den beiden Elternsorten Inzuchtlinien erstellt, so dass diese sehr einheitlich sind und oft auch bereits an Inzuchtdepression leiden. Durch das Kreuzen dieser beiden Inzuchtlinen entsteht das Hybridsaatgut. Dieses ist durch die „frischen“ Gene extrem wüchsig und in der 1. Generation (F1) sehr einheitlich. Man nennt dies den Heterosiseffekt. Dies ist das Gegenteil der Inzuchtdepression.
Nun gibt es aber bei Tomaten so gut wie keine Inzuchtdepression. Dies hat zur Folge, dass es auch keinen nennenswerten Heterosiseffekt gibt. Bei Selbstbefruchtern wie Tomaten, Bohnen, Weizen etc. ist der Mehrertrag durch die Hybridsierung (also einer F1-Sorte) ca. 10 % gegenüber einer samenfesten Sorte. Dies ist auch der Grund, warum es kaum Bohnen, Erbsen oder Salat Hybridsorten gibt. Eine Kreuzung ist bei diesen Pflanzen extrem aufwändig, bring wenig Samen pro Kreuzungsschritt hervor und hat nur eine geringe Ertragssteigerung zur Folge.
Bei strengen Fremdbefruchtern wie etwa Mais hingegen ist der Mehrertrag über 200 % gegenüber samenfesten Sorten. Bei Fremd- und Selbstbefruchtern wie etwa Raps lediglich bei 50 %.
Somit bringen Hybridtomaten dem Hobbygärtner keinen wirklichen Vorteil beim Ertrag. Warum machen sie sich im Garten dann doch oft besser als alte Sorten? Dies liegt an der guten züchterischen Betreuung. Hohe Anzahl an Pflanzen für eine strenge Selektion bei den Eltern und Einkreuzen von resistenten Sorten führen in diesem Fall zur Mehrleistung der Hybriden im Vergleich zu alten, oft sehr schlecht betreuten Sorten. Alte Sorten die jedoch professionell betreut und erhalten werden (wie etwa von Reinsaat) stehen den Hybriden im Hobbygarten um nichts nach.
Warum von der Saatgutindustrie trotzdem hauptsächlich Hybrid-Tomatensorten erzeugt werden? Eine Hybridisierung ist bei Tomaten sehr einfach und kostengünstig, die Sorten sind extrem einheitlich, man kann bei weitem höhere Saatgutpreise verlangen (und damit mehr verdienen) und der Kunde muss das Saatgut jedes Jahr neue kaufen.
Noch am Rande erwähnt sei, dass Saatgut von Hybriden zwar in der nächsten Generation aufspalten, bei Tomaten aber nicht unter den Folgen der vorhergehenden Inzucht der Eltern leiden. Somit wäre es theoretisch problemlos möglich, aus jeder F1-Hybridtomate wieder eine samenfeste Sorte zu züchten.
Verhütung
Im Handbuch Samengärtnerei von Arche Noah wird bei Tomaten keine spezielle Verhütung empfohlen. Es wird lediglich auf die Verkreuzungsgefahr hingewiesen, ein Sicherheitsabstand zwischen den Sorten ans Herz gelegt und angedacht, die Früchte für die Samenernte aus der Mitte des Bestands zu nehmen.
Ich empfehle trotzdem zu verhüten, wenn man eine Sorte professionell erhalten will. Dies hat einen einfachen Grund: Viele der alten und erhaltenswerten Sorten haben einen besonders langen Griffel, der aus der Blüte herausragt. Dadurch sind sie besonders empfänglich für Fremdbefruchtung. Vielleicht bin ich da auch etwas zu pedantisch, aber wenn ich mir die Arbeit mache, Samen zu nehmen und eine Sorte zu vermehren, möchte ich nahezu 100%ig sicher sein, dass diese nicht verkreuzt sind. Außerdem möchte ich auch eventuellen Tauschpartnern eine gewisse Sicherheit geben. Es gibt nicht unangenehmeres, wenn man Samen bekommt und am Ende stellt sich heraus, dass da was völlig anders rauskommt – was meist ärgerlich ist.
Bewährt haben sich meiner Meinung nach (und selbst ausgetestet) folgende Methoden:
a) a) Die „erste Blüte Indoor-Verhütung“: Dabei stehen die Pflanzen solange Indoor, bis die ersten drei, vier Blüten abgeblüht sind. Diese sind dann nahezu 100%ig sortenrein. Gelegentliches Schütteln nicht vergessen vorausgesetzt. Diese Methode empfiehlt sich aber nur, wenn man genügend Platz im Haus hat und eventuell Kunstlicht zur Verfügung steht. Eine Anzucht Anfang März sollte dabei genügen um die Pflanzen dann Mitte/Ende Mai mit den ersten Fruchtansätzen rauszustellen. Leider gibt es auch einige spätreifende Sorten (grade bei den Fleischtomaten), die erst spät Blüten bilden. Hier muss man auf Methode b) zurückgreifen.
b) b) Die „Teebeutelmethode“: Diese Methode ist bereits gut bekannt. Ich habe sie etwas abgewandelt. Man stülpt einen großen Teebeutel über die noch geschlossene Blütenrispe und verklebt diesen unten mit Klebeband (Tixo), so dass keine Insekten mehr eindringen können. Sobald die ersten zwei, drei Blüten abgeblüht sind, kann man den Teebeutel entfernen. Klebeband ist für das Verschließen der Teebeutel meiner Meinung nach besser geeignet als Wäscheklammern, da diese doch relativ schwer sind (und somit eventuell die Rispe abbrechen kann) und ein sicheres Verschließen ziemlich fummelig sein kann. Weiterer Vorteil: die Beutel sind „atumungsaktiv“ und durch die große Fläche werden sie im Wind auch gut durchgeschüttelt. Nach einer Woche kann man die meist wieder abnehmen. Bisher war mein Fruchtansatz unter den Beuteln immer sehr gut.
Die Latexmethode (hier mit die Blüte mit Windowcolour verschlossen) empfehle ich nicht, da die Blüten mit hoher Wahrscheinlichkeit abgeworfen werden. Latexfarbe ist aber nicht völlig sinnlos. Ich benutze sie, um die Stängel der verhüteten Früchte mit Farbe zu markieren, um bei der Ernte zu wissen, von welchen Früchten ich Samen nehmen muss. Dadurch erspart man sich das mühevolle markieren mit Bindfäden.
So, wenn ihr mit dem Lesen bis hierher durchgehalten habt, alle Achtung! Ich hoffe, dass bei dem ganzen Geschwafel doch das eine oder andere Interssante dabei war.
lg
Literatur:
Deppe, Carol; Breed Your Own Vegetable Variety - White River Junction: Chelsea Green Publishing 2001
Deppe, Carol; The Resilent Gardener – White River Junction: Chelsea Green Publishing 2010
Tychonievich, Joseph;Plant Breeding For The Home Gardener – Portland: Timerpress 2013
Miedaner, Thomas; Grundlagen der Pflanzenzüchtung – Frankfurt am Main: DLG-Verlags-Gmbh 2010
Heistinger, Andrea; Handbuch Samengärtnerei – Stuttgart: Eugen Ulmer KG 2003