Howto: Das Kreuzen von Tomaten!

Dieser Artikel beschreibt das Kreuzen von Tomaten. Weitere Bestandteile der Pflanzenzüchtung wie (Auswahl) Genetische Grundkentnisse, Taktische Vorgehensweise, richtige Wahl der Eltern, Uniformität der F1, Aufspaltung in der F2 und Folgegenerationen, Selektion/Auslese und Stabilisierung, Rück- & Einkreuzung, Erhaltungszüchtung, Tomaten spezifische Genetik, Rechtliche Aspekte, Benennung und Veröffentlichung von Eigenzüchtungen und so weiter behandelt dieses Thema nicht. Es geht hier ausschließlich um das Kreuzen im Kern.

Also: Wie geht das Kreuzen nun eigentlich?

Zunächst sollten wir einen Blick auf den Blütenaufbau der Tomate werfen, es ist wichtig die einzelnen Teile der Tomatenblüte zu kennen.

Diese Grafik bezeichnet die einzelnen Teile der Tomatenblüte:

tomato-flower-anatomy.png


Tomatenblüten sind zwittrig. Das heißt: Jede Blüte beinhaltet sowohl männliche wie weibliche Geschlechtsteile. Bedeutet auch dass aus jeder Blüte eine Frucht wird (bei erfolgreicher Bestäubung). Und das ist der Unterschied etwa zu Gurken oder Kürbissen bei denen es weibliche und männliche Blüten gibt - und nur aus den weiblichen Blüten dann eine Frucht wird.

Die einzelnen Teile der Tomatenblüte (vgl. mit o.g. Foto):
  • Neutral
    • Kelchblatt (engl. sepal)
    • Blütenblatt (engl. petal)
  • Männlich
    • Staubbeutel(engl. anther)
      • Jede Blüte besitzt mehrere Staubbeutel, die bei Tomaten und vielen Nachtschattengewächsen zu einer "Röhre" verwachsen sind.
      • Hier klebt der Pollen!
  • Weiblich
    • Narbe(engl. stigma)
      • Hier landet der Pollen!
    • Griffel(engl. style)
      • Verbindung zwischen Narbe und Fruchtknoten. Die keimenden Pollenkörner auf der Narbe bilden Pollenschläuche hinab zum Fruchknoten zu den Samenanlagen. Durch die Pollenschläuche flutschen die Spermien.
    • Fruchtknoten(engl. ovary)
      • Wächst bei ausreichender Bestäubung (ausreichend Spermien) zur Frucht heran.
Tomatenblüten enthalten manchmal (bei Fleischtomaten häufig) mehrere weibliche Geschlechtsteile. Das heißt mehrere Fruchtknoten, Griffel und Narben, die miteinander verwachsen sind. Solche Blüten sind als Monsterblüten erkennbar, aus ihnen wachsen Bunkerfrüchte. Vernarbungen an den Übergangsstellen zwischen den Einzelfrüchten sind die weitere Folge!





Monsterblüte

Monsterblüte

Okay, genug trockene Theorie. Nun geht es an das Eingemachte! :D

Wie ich ja bereits schrieb: Die Blüten von Tomaten sind zwittrig. Wenn wir also zwei Tomaten miteinander kreuzen wollen, dann müssen wir uns entscheiden, welche Pflanze soll die männliche Rolle einnehmen, welche die weibliche Rolle.

Grundsätzlich ist es egal wer Männlein, wer Weiblein ist.

Zur besseren Veranschaulichung machen wir mal ein fiktives Beispiel:

Wir möchten eine Kreuzung zwischen Blue Boar Berries x Orange Favourite machen.

In diesem Fall entscheiden wir uns für folgende Rollenverteilung:

♀ Blue Boar Berries
♂ Orange Favourite

Schritt 1

Durch das Entfernen der männlichen Staubbeutel einer Blüte verliert diese ihre Zwittrigkeit - sie wird weiblich!

Und das wollen wir jetzt bei der Blue Boar Berries durchführen. Zunächst müssen wir uns einen geeigneten, jungen Blütenstand suchen.

Geeignete Blüten sind noch geschlossen, aber voll ausgebildet, kurz vor der Aufblüte, gerne mit einem grasigen Touch.

blüten.jpg

Bereits aufgeblühte Blüten werden entfernt. Ebenso zu junge Blüten. Und zwar alle!!!

Die verbleibenden, geeigneten Blüten öffnen wir jetzt von Hand. Für alle Arbeiten an den Blüten eignen sich Fingernägel oder Pinzetten. Sonst wird das nichts!

Nachdem wir die Blüten geöffnet haben entfernen wir die Staubbeutel. Ganz vorsichtig! Wichtig: Es sind mehrere Staubbeutel, die zu einer Röhre verwachsen sind. Und in dieser Röhre befindet die Narbe und der Griffel. Beides darf auf garkeinen Fall beschädigt werden. Und darin besteht die Schwierigkeit! Ich packe die Staubbeutel entweder unten im Bereich des Fruchtknotens oder biege sie von oben auf die Seite, dann fallen sie auch ab.

Die äußeren Blütenblätter haben keine Funktion, sie können wahlweise entfernt oder stehen gelassen werden. Ich mach mir die Mühe nicht Extra. Bei mir bleiben sie, sofern ich nicht gepfuscht habe und sie mit abfallen.

Die präparierte Blüte sollte dann so aussehen:

ohne_staubbeutel.jpg

Anschließend setzen wir über den präparierten Blütenstand ein Verhüterli auf!

verhüterli.jpg

Fertig!

Schritt 2

Zwei Tage später: Unsere weiblichen Blüten sind nun geschlechtsreif. Es ist nun an der Zeit die eigentliche Kreuzung durchzuführen!

Dazu nehmen wir ein Smartphone zur Hand. Oder alternativ Sonnenbrillengläser, o.ä. - wer kein Smartphone besitzt. Die dunkle Oberfläche hilft uns den hellen Pollen zu erkennen!

Mit dem Smartphone gehen wir nun zu der Pflanze, welche wir die männlichen Rolle zugesprochen haben. In unserem Beispiel eben Orange Favourite.

Man hält das Smartphone unter die Blüte und klopft, schnipst, rüttelt an der Blüte oder nutzt eine elektr. Zahnbürste. Tomaten sind Vibrationsbestäuber. Wind oder das Reiten der Blüten durch Hummeln löst eine Vibration aus. Der schwach klebende Pollen löst sich von den Staubbeuteln und fällt auf das Smartphone.

pollen.jpg

Oft sind die Blüten geizig mit dem Pollen. Entweder sie sind schon drüber oder noch nicht so weit. Da hilft es nur solange zu suchen, bis man 'ne spendable Blüte gefunden. Ich habe außerdem das Gefühl, dass es an sonnigen, späten Morgenstunden am Besten klappt.

Ausreichend Pollen auf dem Smartphone:

pollen2.jpg

Mit dem Pollen auf dem Smartphone gehen wir jetzt zu unseren weiblichen Blüten von Blue Boar Berries. Wir nehmen das Verhüterli ab und tunken großzügig die Narben in den Pollen.

kreuzung.jpg

Das ist jetzt das Highlight - die eigentliche Kreuzung!!! :p

Anschließend verhüten wir unsere gerade Handgekreuzten Blüten wieder.

Schritt 3

Nach einer Woche kontrollieren wir, ob es geklappt. Verhüterli abnehmen. Fallen die Blüten ab oder der Fruchtknoten will nicht wachsen, dann haben wir Pech. Sieht es aber so aus, dann haben wir Erfolg:

erfolg.jpg

Ab nun an ist ein Verhüterli nicht mehr erforderlich. Der betreffende Fruchtstand sollte aber markiert werden, damit man ihn wiederfindet. Bei mehreren Kreuzungen wäre es ratsam 'n Schildchen anzubringen, damit man auch weis wer der Vater war.

Wichtig: Die heranwachsende Frucht hat immer das Aussehen, wie es für die Mutterpflanze von der Sorte her typisch ist. Das Produkt unserer Kreuzung wächst ausschließlich im Inneren der Frucht heran - die Samen!

Der weitere Verlauf geschieht dann wieder ganz normal: Ernten, wenn vollreif. Samenentnahme nach eurem Belieben. Genauso wie Aussaat, Aufzucht, usw.

So, das soll alles gewesen sein. Viel Erfolg beim Kreuzen. Hoffe das Howto ist halbwegs verständlich und eine Hilfe!
 
Zuletzt bearbeitet:
  • Hi Michi,

    das ist ne prima Anleitung mit hilfreichen Bildern.
    Genau so wie Du es hier beschrieben hast mache ich das auch wenn mir mal nach Kreuzungen ist.

    Gruß Conya
     
    Klasse Michi! Irgendwo hattest du vor Jahren schonmal schöne Beschreibungen eingestellt. Aber nicht so schön wie jetzt. Theoretisch ist mir das auch alles klar. Aber der Griffel von der blush ist einfach super filigran und die Staubblätter heften daran, bombenfest. Hast du dich mal an der versucht? Zum Glück habe ich sie drei-triebig ...
     
  • Ja, was meinste, was ich tue... Aber mit der neuen Lupe geht es jetzt besser.
     
    Ich hab draußen noch 'ne Blush im Schnapsbecher. Ich werd die mal bis zur Blüte hochpeppeln, um den Pollen extrahieren zu können. Hab 'ne Kreuzung mit der vor...

    Grüßle, Michi
     
  • Hallo Michi,

    ich liebe deine Beiträge. Aber dass ich mir zur Bestäubung von Tomis extra ein Smartphone kaufen muss, das geht eindeutig zu weit :grins:

    Geizige Grüße
    Beni (die sich nochmal für deinen Rat bedankt im Frühjahr)
     
    Ich habe auch kein Smartphone. Aber jedes andere Handy mit Touch Screen geht sicher auch.


    Michi, aber die Blush ist doch gelb (ist doch ein rezessives Merkmal, oder?). Sollte man dann nicht eher die Blush als Mutterpflanze nehmen?
     
    @ Tubi

    Sicherlich. Aber Mama wird 'ne Dwarf sein. Und da ist dann das die bessere Eigenschaft zur Verifizierung. Kann ich schon im Keimlingsalter prüfen, ob alles seine Richtigkeit nimmt und muss nicht erst die Fruchtfarbe abwarten.

    Ganz allgemein noch mal was: Grundsätzlich ist es egal wer Männlein und Weiblein ist. Ich wills nur noch mal sagen, damit keine Verwirrung entsteht.

    Aber man kann taktisch vorgehen. Überlegen welcher der beiden Sorten, die man kreuzen möchte, trägt rezessive und welche dominante, optische, leicht erkennbare Merkmale wie Fruchtfarbe oder die Wuchsform der Pflanze. Dann definiere ich die Mutterpflanze, die ein bestimmtes rezessives Gen trägt, welches durch die Vaterpflanze und sein passendes, dominantes Gen in der F1-Generation (nur in dieser Generation!) verdeckt wird.

    Aber dieses Vorgehen erfordert das Wissen darüber, wie die einzelnen Gene der Tomate funktionieren. Und das hätte das Howto ewig in die Länge gezogen. Wäre viel Input für den Anfang gewesen und hätte vermutlich den Einsteiger mehr verwirrt als gedient.

    Und dann gibt es schließlich noch die Momente, in denen sich meine Ansicht zu etwas ändert. Ich lerne ja schließlich auch noch. Deshalb hinterfrage ich neuerdings, ob dieses taktische Vorgehen tatsächlich einen Vorteil bringen kann. Ich weis, diese Methode ist unter Züchter beliebt. Aber isses nicht so: Wenn ich sauber arbeite, immer verhüte und die Staubbeutel nicht erst aus der Blüte entferne, wenn der Pollen bereits reif ist, dann sollte es doch 'ne klare Sache sein und Gewissheit direkt mit dem Fruchtansatz liefern: Wächst der Fruchtknoten ist meine Kreuzung erfolgreich. Wo soll da der "fremde" Pollen herkommen?


    Grüßle, Michi
     
  • Ja, da hast du auch wieder Recht. Aber es ist einfach für die einfach gestrickte Psyche ein sicheres "Erfolgsfeedback", wenn plötzlich auch Samen einer gelben Frucht rot Pflanzen mit tragenden Früchte wachsen. Es ist einfacher zu glauben, was man sieht, als zu glauben, was nicht Sichtbar ist
    icon_wink.gif
     
  • Stimmt schon, ich denke ich werd auch zukünftig die Rollen taktisch verteilen. Aber nicht überbewerten.

    Jetzt im Falle von Blue Boar Berries x Orange Favourite, das war nicht nur 'n fiktives Beispiel; so habe ich es auch gekreuzt im Garten. Auch mit der Rollenverteilung: BBB = weiblich; OF = männlich.

    Was passieren wird nächstes Jahr, sofern ich die Samen auskultiviere:

    Bei Erfolg: Schwach blau pigmentierte Früchte
    Bei Nichterfolg: Stark blau pigmentierte Früchte

    = Feedback erhalte ich bei unreifen Früchten.

    Grüßle, Michi
     
    Kreutzigung der Tomaten?
    Mussich die nun an eine Latte nageln zum trocknen?

    Hatte meine Lesebrille nicht auf und mich verlesen!
     
    Aller <3 ten Dank :-)
    Ich suche schon sooo lange eine Beschreibung, in der das Kreuzen der Tomatensorten beschrieben ist..

    Wie viele Generationen muss denn nach den ersten beiden die Sorte stabil sein,dass man sie dann benennen darf? Ich glaube noch zu wissen von mindestens 7?
    Danke nocheinmal ganz ganz herzlich hierfür... Klasse beschrieben !! :-)

    Lg Bienchen
     
    Das freut mich...! :pa:

    Benennen kannst du sie jederzeit. Wenn Dir bereits ein Name eingefallen ist - warum nicht. Wichtig ist Angabe der Generation (F1, F2, F3). Wenn die Sorte stabil entfällt diese Angabe.

    Stabil sind die Sorten mit Generation F7, spätestens F8.

    Passiert zwischenzeitlich eine erneute Kreuzung, sei es absichtlich durch den Züchter oder ungewollt durch 'ne Hummel, dann springt der Generationenzähler wieder auf die F1. Das Prozedere der Stabilisierung passiert dann wieder von vorne.

    Grüßle, Michi
     
    Passiert zwischenzeitlich eine erneute Kreuzung, sei es absichtlich durch den Züchter oder ungewollt durch 'ne Hummel, dann springt der Generationenzähler wieder auf die F1. Das Prozedere der Stabilisierung passiert dann wieder von vorne.

    Grüßle, Michi



    Also macht es Sinn die Merkmale hintereinander weg zu kreuzen und dann zu Stabilisieren, ja? Das spart ja auch ne Menge an Zeit. Statt 2 * 7 Jahre sind es dann nur 8 Jahre.
    icon_smile.gif
     
    Also im Jahr 1: Kreuzung von Tomate A und Tomate B
    Im Jahr 2: Kreuzung von AB (F1) mit Tomate C.
    Dann sieben Jahre Stabilisierung von ABC.
    Falsch?


    Man könnte ja auch erst AB stabilisieren und danach mit C kreuzen. Das würde dann aber länger dauern zur Stabilisierung, nochmal 7 Jahre.
     
    Gute Frage! Kann ich mir das morgen überlegen? Meine Hirnkapazitäten sind erschöpft, ich find' die Logik heut nimmer... ;)

    Grüßle, Michi
     
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